Wie weit hängt das Leben am Geburtsmonat?

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Wann man geboren wird, wirkt sich auf das ganze Leben aus, die Details hängen aber stark am Wo.

Dass in verschiedenen Monaten verschiedene Krankheiten vorherrschen, wusste schon Hippokrates: „Mit den Jahreszeiten ändern sich die Verdauungsorgane der Menschen“, schrieb er vor 2500 Jahren. Später kam der Verdacht, dass auch die Zeiten, in denen jemand geboren wird, bei seiner Gesundheit mitspielen, sein Leben lang. Und das nicht irgendwelcher Konstellationen der Sterne wegen, sondern wegen der Umwelt: 1983 fiel auf, dass Kinder, die in den Monaten Mai bis September geboren werden, als Erwachsene ein um 40 Prozent höheres Risiko tragen, an Hausstaubmilbenallergie zu leiden.

Man führte es darauf zurück, dass die Populationen der Milben von Mai bis September am größten sind. Später zeigten sich Zusammenhänge mit allen erdenklichen Leiden, Asthma etwa, es bedroht überdurchschnittlich im September Geborene, vor Herzkrankheiten müssen sich vermehrt die fürchten, die im Winter und späten Frühjahr zur Welt kamen – von Jänner bis April –, für Bronchitis, virale Infektionen und ADHD sind im November Geborene anfälliger.

All das gilt zumindest für Menschen, die in New York leben und zwischen 1985 und 2013 im Spital der Columbia University waren, die Daten von 1,7 Millionen hat Nicholas Tantonette (Columbia University) im Juni ausgewertet: Er fand Zusammenhänge des Geburtsmonats mit 55 Leiden, warnte allerdings vor übertriebener Sorge: Das jeweilige Risiko ist „nicht groß“ (Journal American Medical Informatics Association 22, S. 1042).

Sonnig schwanger? Großes Baby!

Vielleicht liegt es daran, dass eine auch nicht schmale Studie von John Perry (Oxford) nun überhaupt keine Zusammenhänge zwischen Geburtsmonat und Krankheiten gefunden hat. Vielleicht liegt es auch daran, dass die 450.000 Teilnehmer im Alter von 40 bis 69 Jahren nicht medizinisch untersucht, sondern online befragt wurden, nach körperlichen Charakteristika und Leiden, nach Lebensumständen, auch solchen, die sie erst in alten Akten nachschlagen mussten, dem Geburtsgewicht etwa: Wer unter ein oder über sechs Kilo auf die Waage brachte, wurde von der Auswertung ausgeschlossen. Der Rest wurde in zwei Gruppen geteilt, bis 2,5 Kilo galten als „low birth weight“.

Das geringe Gewicht zeigte sich überproportional bei denen, die im Winter geboren worden waren. Mit mehr Gewicht als dem Durchschnitt ausgestattet waren die im Herbst zur Welt Gekommen, die Differenz zeigte sich vor allem bei Frauen. Dahinter steht vermutlich Vitamin D, das ist das, zu dessen Synthese in unserer Haut wir Sonnenlicht brauchen, Schwangere brauchen es ganz besonders, ihr Vitamin D trägt auch zum Knochenwachstum der Föten und auf diesem Weg zum Geburtsgewicht bei.

Und zur Körperlänge: Wer bei der Geburt größer ist, bleibt es ein Leben lang. Und er wird früher reif bzw. sie wird es: Eine der Überraschungen von Perrys Studie liegt darin, dass Mädchen, deren Mütter sie in sonnenreichen Monaten austrugen, früher in die Pubertät kamen, unklar ist, ob es auch hier Zusammenhänge mit Vitamin D gibt.

Die gibt es sicher nicht bei einem vorderhand frappierenden weiteren Befund: Wer im Herbst geboren ist, erhält eine längere Schulbildung. Das hängt damit zusammen, dass in England im September eingeschult wird: Wer da geboren wird, kommt ein Jahr später zur Schule, in reiferem Alter (Heliyon 12. 10.).

Aber warum wirkt sich der Geburtsmonat in England nicht auf spätere Leiden aus wie in New York? Und warum bringt ein höheres Geburtsgewicht nicht Fettleibigkeit wie in China, von wo die dritte große Studie stammt (Journal of Epidemiology 25, S. 221)? Offenbar spielen regional ganz verschiedene Umwelteinflüsse in die jeweiligen Monate hinein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.10.2015)

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