Städter sind die neuen Bewohner der Alpen

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Alpen(c) . (Erwin Wodicka)
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Geografie. Die Berge sind – auch wenn Statistiken etwas anderes sagen – wieder zu einem Zuwanderungsgebiet geworden, ob in den Hochgebirgen Kaliforniens oder den Alpen. Eine Ausnahme sind die östlichen Berge Österreichs.

Die Einwohnerzahl der Sierra Nevada in den Bergen Kaliforniens nimmt seit Jahren zu: ein gegenläufiger Trend zum restlichen Bundesstaat, der seine Bevölkerungszahl nur wegen der spanischsprachigen Migranten vergrößern kann. Menschen aus den großen Städten, wie L. A. oder San Francisco, ziehen in das Gebirge, weil „es dort einfach angenehmer zu leben ist“, sagt Ernst Steinicke vom Innsbrucker Geografieinstitut.

Menschen haben oft zwei Wohnsitze und verbringen mehrere Tage, Wochen oder Monate im Jahr in ihren Zweitwohnsitzen in den Bergen. Dieses Phänomen lässt sich auch auf die Alpen umlegen, wie Steinicke in seinem laufenden, vom Wissenschaftsfonds FWF finanzierten Projekt „Demografischer Wandel und Auswirkungen auf die autochthonen Minderheiten (Alpen)“ festgestellt hat.

Alpen als Sehnsuchtsort

Statistisch ist das schwer zu fassen: So erleben weite Teile der West-, Mittel- und Südalpen seit Jahren eine Zuwanderung, obwohl sie noch immer als klassische Abwanderungsgebiete gelten. „Die meisten Menschen bleiben in den Städten registriert, auch wenn sie eventuell mehrere Monate im Jahr in den peripheren Alpengegenden leben“, sagt Steinicke.

Es sind fast ausschließlich urbane Menschen, die die Alpen als Sehnsuchtsort wiederentdecken und entlegene Gebiete wieder besiedeln. Geografen bezeichnen die Städter daher als die neuen „Highlander“, oder Hochlandbewohner. In Frankreich begann dieser Trend in den 1960er-Jahren. Von dort aus schwappte diese Wohlstandswanderung – in der Fachsprache Amenity Migration – nach Italien, in die Schweiz und nach Osten bis nach Slowenien.

Dafür gibt es viele Gründe: Zum einen nimmt die Attraktivität des Gebirgsraumes für die Freizeitgestaltung zu, zum anderen sind die Grundstückspreise in den einst entvölkerten Gebieten bis heute relativ günstig. Zudem können Menschen wegen der neuen Technologien auch in den Bergen arbeiten: „Das Internet ist der Grund, warum die Leute das Gebirge nicht verlassen müssen“, sagt Steinicke.

Der Osten ist anders

Im Osten der österreichischen Alpen herrschen aber völlig andere Verhältnisse: Dort befindet sich das demografische Problemgebiet der gesamten Alpen. Ein Grund sind die großen Besitztümer, die nicht verkauft werden. Die Gegend selbst ist mit monotonen Fichtenwäldern bedeckt und daher „landschaftlich nicht besonders attraktiv“, sagt Steinicke. Zudem hinken die Gemeinden der Ostalpen denen der Westalpen funktional hinterher: Es fehlen Supermärkte, Handel, Schulen, Straßen- und Eisenbahnverbindungen. Das Image der in die Krise geratenen Bergbauern und Industrieregionen hemmen die Zuwanderung ebenso.

Dabei wirken sich die Städter positiv auf die alpinen Minderheiten aus. Zwar wirken sie bei deutschen, slowenischen, ladinischen oder rätoromanischen Sprachinseln assimilierend, weil die Neuen deren Sprache nicht sprechen können, dennoch vitalisieren sie die Dörfer: Traditionelle Feste werden wieder gefeiert, Häuser im alten Stil neu errichtet, verwilderte Kulturlandschaften wieder gepflegt, Terrassen wieder aufgebaut und Schulen wieder geöffnet. „Italiener gehen so weit, ihre Kinder Heidi und Peter zu nennen, ohne Deutsch sprechen zu können“, sagt Steinicke. Das stärkt die alpinen Minderheiten in ihrer Identität. (por)

LEXIKON

Etnische Minderheiten wohnen oftmals in abgelegenen Gebirgsräumen. Daher ist nirgendwo im westlichen Europa das Bild so bunt wie im Alpenbogen. Hier sind elf verschiedene Sprachgruppen beheimatet: Slowenen, Italiener, Franzosen, Deutsche, Kroaten, Ungarn, Ladiner, Rätoromanen, Friulaner, Okzitanen (Provenzalen) und Frankoprovenzalen. Damit sind die meisten Alpenländer mehr oder weniger mit der Identitätsfrage dieser Volksgruppen und Minoritäten konfrontiert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.10.2015)

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