Pflege nicht einsparen, sondern umverteilen

Sparkling Science. Forscher und Schüler entwickeln gemeinsam lebbare Visionen, wie alte Menschen besser umsorgt werden können: Dabei soll das Miteinander von Familie und professioneller Hilfe untersucht werden.

Die Gesellschaft altert. Das Pflegepersonal stagniert. Damit wird die Frage „Wer sorgt für wen?“ zu einem gesamtgesellschaftlichen Problem. Die Erwerbstätigkeit hat für die meisten Menschen einen dominanten Stellenwert in ihrem Alltag: „Der Tag hat aber nur 24 Stunden, und Sorgetätigkeiten rücken dadurch an den Rand des Tagesgeschehens“, sagt Elisabeth Reitinger vom Institut für Palliative Care und Organisationsethik an den Universitäten Klagenfurt, Wien und Graz.

Sie leitet das vom Wissenschaftsministerium finanzierte Sparkling-Science-Projekt „Who Cares“, bei dem sie gemeinsam mit Schülern des Wiedner Gymnasiums Wien und dem Caritas-Ausbildungszentrum Seegasse funktionierende Pflegemodelle entwickeln will. Zunächst geht es darum, eigenen Erfahrungen Raum zu geben: „Wir wählen dafür einen stark narrativen Zugang. Erzählungen aus dem eigenen Familienkreis und von beruflichen Praktika sollen die Basis der qualitativen Arbeit bilden“, sagt Reitinger.

Die Schüler eigneten sich bereits die neueste Forschungsliteratur an und entwickelten Leitfäden. Nun interviewen sie sowohl pflegebedürftige Menschen als auch professionelle Pflegende: „Dabei ist es uns wichtig, dass keine gesellschaftliche Gruppe oder Randgruppe vergessen wird“, erklärt Reitinger. Zudem können Außenstehende ihre Erfahrungen auf einer Internetseite eintragen. Die Ergebnisse werden nächstes Jahr gemeinsam mit den Forschern ausgewertet.

Eines sei aber in den bisherigen Besprechungen schon klar geworden: Theorie und Praxis unterscheiden sich oft stark. Wegen des großen Zeitdrucks im Arbeitsalltag lässt sich vieles, was im Unterricht besprochen wird, nicht umsetzen. Ausgedehnte Erwerbszeiten der Eltern erschweren private Fürsorge, die nach wie vor den Hauptanteil der Betreuung trägt. „Hier gilt es, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass die Pflege der Großmutter entsprechend anerkannt wird“, sagt Reitinger. Auch gehe es um eine bessere Aufteilung der Tageszeit. Nur eine hilfsbereite Gesellschaft könne das Pflegepersonal entlasten. Das solle aber „keine weitere Einsparungsmöglichkeit für den Staat werden, sondern eine gerechte Umverteilung“. (por)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.10.2015)

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