Kiribati ertrinkt? Eher wird es verdursten!

(c) Bloomberg (Michael Nagle)
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Koralleninseln im Pazifik sehen sich als Hauptbedrohte der Erwärmung: Sie fürchten, überflutet zu werden. Aber wenn das Meer steigt, wachsen die Inseln. Höchst bedroht sind sie doch, durch andere Aktivitäten.

Als vor etwas über einem Jahr das Wasser durch die Straßen von Teaoraereke schoss und in die Häuser hinein, sahen viele Bewohner bestätigt, was sie oft im Radio gehört hatten: „The angry sea will kill us all!“ Das ist ein Song, der einen Wettbewerb gewonnen hat, den die Regierung von Kiribati ausgeschrieben hat. Kiribati ist eine Gruppe von 33 Koralleninseln mitten im Pazifik, sie ragen im Durchschnitt zwei Meter aus dem Wasser, etwas höher erhebt sich Tarawa, die Hauptinsel, in ihrem Süden liegt Teaoraereke. Das Meer zog sich wieder zurück, trotzdem sah der Präsident von Kiribati, Anote Tong, seine schlimmsten Sorgen bestätigt, er äußert sie oft in Interviews: Es drohe die „völlige Auslöschung“ Kiribatis.

Und nicht nur Kiribatis: Tong ist derzeit die kräftigste Stimme der kleinen Inselstaaten im Pazifik, die alle kaum aus dem Wasser ragen und nichts so fürchten wie den Anstieg des Meeresspiegels durch die Erwärmung. Diesen schätzt der UNO-Klimabeirat IPCC auf 26 bis 82 Zentimeter bis 2100. Dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Inseln überspült sind, sie wachsen ja nicht!

Doch, das tun sie. Als Erster bemerkte es Darwin, als er auf seiner Weltumsegelung Koralleninseln aus der Nähe sah: Er erklärte deren Entstehung damit, dass Korallen, die auf abgesunkenen Vulkanen wuchsen, nicht nur einen schützenden Ring um die Inseln bildeten, sondern auch die Inseln selbst: Was das Meer von den Korallen in Stücke schlägt und zu Sand zerreibt, treibt es in den Ring hinein und lässt die Inseln wachsen.

Und das rascher, als das Meer steigt. Zu diesem Befund kam Paul Kench (University of Auckland), als er 27 Atolle in der Region analysierte: 23 hatten sich erhöht oder waren gleich geblieben, die Erhöhungsrate war mit zehn bis 15 Millimeter pro Jahr deutlich höher als die des Meers mit 3,2: „Dass die Meere steigen, bedeutet nicht, dass Atolle vor dem Weltuntergang stehen“ (Nature 562, S. 625).

„Erosion durch lokale Aktivitäten“

Den könnten sie sich eher selbst bescheren, Kiribati etwa mit Abbau von Sand und dem Aufbau eher schädlicher Befestigungen der Küsten: „Die Erosion kommt primär von lokalen Aktivitäten des Menschen. Weitere Eingriffe in den aktiven Strand erhöhen die Verletzlichkeit der Riffinseln für die erwartete Meeresspiegelerhöhung“ (Sustainability Science 8, S. 345). So formulierte es Naomo Biribo. Sie ist Geomorphologin – und Mitglied der Regierung von Kiritabi. Sie leitet das Fischereiministerium. Nicht immer geht es bei den baulichen Maßnahmen um große: Viele Inselbewohner holen zum Befestigen ihrer Anwesen Steine und Sand von den Korallen. Die werden auch von Überfischung bedroht, und zugleich von Überdüngung: Abwässer fördern Bakterien und Algen, die Korallen schädigen. Und viele Fäkalien geraten erst gar nicht ins Meer, sie werden oft irgendwo am Boden abgelassen.

Hinzu kommen eine extreme Siedlungsdichte – fast 5000 Menschen pro Quadratkilometer, doppelt so viele wie in New York – und ein ebenso extremes Bevölkerungswachstum auf der Zentralinsel. Heute leben dort 50.000 Menschen, in 15 Jahren werden es doppelt so viele sein, durch Zuzug von anderen Inseln und hohe Reproduktion. Sie alle haben Durst, aber das Wasser ist heute schon so knapp, dass die Pumpen beim zentralen Grundwasser nur ein paar Stunden am Tag laufen.

„Wenn man sich die steigenden Meere als Zug vorstellt, der auf einen zukommt, dann ist der noch mehrere Kilometer weg“, schließt George Fraser, Hochkommissar Australiens, das die meisten Hilfsgelder in die Entwicklung Kiribatis pumpt: „Wenn man hingegen schaut, was schon hundert Meter nahe ist, dann sind es das fehlende Wasser, und gleich dahinter das fehlende Essen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.10.2015)

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