Ein Haus, das wie ein Pilz wächst

Trichia favoginea
Trichia favoginea(c) John Carl Jacobs/Wikipedia
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Wer nach dem Vorbild der Natur gestalten will, muss zunächst verstehen, wie sie funktioniert. Dazu kooperieren an der Angewandten in Wien Architekten und Biologen.

Es findet selbst den Platz, an dem es wächst, ist schon im Bau nutzbar und löst sich am Ende seiner Lebenszeit selbst wieder auf. Dabei produziert es keinen Abfall und passt sich dem Klima beliebig an. So wie ein Pilz oder Baum soll auch das intelligente, umweltfreundliche Haus künftig funktionieren. Um dieser Vision ein Stück näherzurücken, forschten Architekten und Künstler der Wiener Universität für angewandte Kunst drei Jahre lang gemeinsam mit Biologen, Mechatronikern und Robotikern.

Wie aber lassen sich Wachstumsprinzipien aus der Natur auf die Architektur übertragen? „Wir haben uns zu Beginn gefragt, was ein selbstwachsendes Haus können, welche Erwartungen es erfüllen muss“, sagt Projektleiterin Barbara Imhof. Zentral war etwa, dass es sich flexibel an neue Bedingungen anpassen, aber dabei immer bewohnbar sein soll. Zu den Anforderungen wurden dann passende Modelle aus der Natur gesucht.

Schleimpilz zeigt, wie es funktioniert

An einen Schleimpilz hatte dabei zunächst wohl keiner gedacht. Dennoch erwies sich der Einzeller – trotz seines Namens streng genommen weder Pilz, noch Tier – als idealer Ko-Designer für Wachstumsprinzipien, so Imhof. Er überzieht Baumrinden und Blätter genauso wie Böden. Im Labor gedieh er, gefüttert mit Haferflocken, auf Filterpapier für Kaffee in weitgehend steriler Umgebung am besten. Die Architekten ließen sich dazu von Biologen einschulen und experimentierten selbst mit den Organismen. Dabei bildete der Schleimpilz Netzwerke von einer Haferflocke zur nächsten. „Er hinterlässt dabei Spuren, damit er weiß, wo er schon war“, sagt Imhof. „Ein einfaches, aber sehr intelligentes Prinzip.“ Die Forscher bildeten die Netzwerke dreidimensional nach und übertrugen sie auf ein praktisches Beispiel: sieben Minibohrinseln vor der Küste Großbritanniens, die so verbunden wurden.

Myzelien, die fadenförmigen Zellen von Pilzen, nutzten die Wissenschaftler wiederum, um neue Materialien zu entwickeln. Wahlweise gab es Zeitungspapier, Sägespäne oder Weizenkleie als Nahrung. „Mit Weizenkleie hat es am besten funktioniert“, sagt Imhof. Für die Versuche richteten die Forscher an der Angewandten ein eigenes Biolabor ein. Dort kämpfte man zunächst mit Startschwierigkeiten: „Wir hatten eine Fruchtfliegenplage und statt der Pilze, die wir uns wünschten, wuchsen verschiedene Schimmelpilze.“

Biologie lernen hieß es zunächst also für die Architekten. Der Austausch mit den anderen Disziplinen sei aber nicht schwierig, sondern spannend und bereichernd gewesen: Man müsse in der Zusammenarbeit allerdings seinen Blick auf die Welt ändern, so Imhof. So habe man dabei etwa verstanden, welch mühsame Kleinarbeit naturwissenschaftliche Forschung mitunter bedeute: „Es gibt nicht den großen Wurf, sondern viele kleine Schritte.“ Das Resultat waren schließlich verschiedene dreidimensionale Formen, auf denen die Pilze gediehen: So entstand ein leichtes, aber dennoch sehr stabiles neues Material.

Auch mit Algen wurde experimentiert. Sie wandeln Kohlendioxid in Sauerstoff um, und sind damit in einem Kreislauf wichtig, bei dem natürliche Stoffe für 3-D-Druck eingesetzt werden: eine Mischung aus Kalziumkarbonat, Alkohol und Essig – Letzterer lässt sich auch verwenden, um erzeugte Strukturen wieder abzubauen. Die Rezepte dazu kamen wiederum von den Biologen. Mechatronik- und Robotikexperten programmierten den Drucker. Präzision spielt dabei allerdings keine große Rolle: „Auch in der Natur ist jedes Blatt anders“, sagt Imhof. So könnten sich künftig auch Wände in Gebäuden deutlich voneinander unterscheiden.

Luken dicht, sobald es regnet

Die Forscher testeten schließlich noch Hydrogele, wasserunlösliche Kunststoffe, die sich zurückziehen, wenn sie trocken sind, und mit Wasser aufquellen. Dieser Effekt könnte in Gegenden, in denen es viel regnet, zum Lüften genutzt werden. Wird es plötzlich nass, verschließen sich alle Ritzen und Rillen schnell und automatisch.

Bevor Häuser aber buchstäblich wie Schwammerln aus dem Boden wachsen, dauert es wohl noch. Das vom Österreichischen Wissenschaftsfonds FWF geförderte Projekt Growing as Building, kurz GrAB, ist mit Ende November abgeschlossen. Das erste Folgeprojekt, das die Grundlagenforschung einen Schritt weiter in Richtung Praxis führen soll, ist aber bereits genehmigt.

LEXIKON

Bionik nutzt Erkenntnisse aus der Biologie für technische Anwendungen. So wie Klettenpflanzen den Klettverschluss inspiriert haben oder die Blätter der Lotusblume als Beispiel für eine schmutzfreie Oberfläche dienen, geht man davon aus, dass sich nach dem Vorbild der Natur auch weitere Lösungen für praktische Fragen finden lassen. Wiener Forscher wollen dieses Prinzip auch für die Architektur stärker nutzen. Für die Verwendung neuer Materialien will man von biologischen Organismen lernen sowie der Natur Wachstumsprinzipien abschauen. Um wirklich Neuland zu betreten, analysiert man zunächst, was es schon gibt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.11.2015)

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