Walter, der schwarze Vielflieger

Kolkrabe
Kolkrabe(c) APA/FOTO ALPENZOO (FOTO ALPENZOO)
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Die intelligenten Kolkraben verblüffen auch die Forscher immer wieder – unter anderem den Biologen Matthias Loretto, der sich intensiv mit ihnen beschäftigt hat.

Walter war der absolute Rekordhalter unter den Kolkraben: Er flog innerhalb von 20 Monaten mehr als 11.000 Kilometer. „Wir waren echt verblüfft, wir hätten nicht gedacht, dass die Vögel doch so weit fliegen. Manche zumindest, denn andere waren deutlich weniger unterwegs“, erzählt Matthias Loretto. Der Biologe, Rabenforscher an der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle (KLF) im Almtal, hat sich in den letzten vier Jahren intensiv mit der Wanderung und der sozialen Intelligenz von Kolkraben, speziell den Nichtbrütern unter ihnen, beschäftigt. „Man wusste aber nicht so viel über die Nichtbrüter, wie weit fliegen sie, und wohin fliegen sie bevorzugt“, erwähnt Loretto.

Bekannt ist: Nichtbrüter sammeln sich gern bei reichhaltigen Nahrungsquellen, ob das nun in der Nähe von Menschen oder ein verendeter Hirsch ist. Um Infos zu Futterquellen, so nimmt man zumindest an, geht es auch auf den gemeinsamen Schlafplätzen, zu denen Kolkraben in Gruppen hinfliegen. „Hier findet wahrscheinlich ein Informationsaustausch statt, es dürfte um Futter gehen, aber Näheres wusste man nicht dazu und weiß es teilweise noch immer nicht.“

Mehr Licht in dieses Dunkel sollen diverse Forschungsprojekte der KLF in Grünau im Almtal in Kooperation mit dem Cumberland Wildpark bringen. Das jüngste beendete Projekt hieß „Raven politics“, ein START-Preis des Wissenschaftsfonds FWF an den berühmten Rabenforscher Thomas Bugnyar vom Departement für Kognitionsbiologie der Universität Wien. Loretto war dabei als Dissertant hauptverantwortlich für die Erforschung der Raumnutzung und Wanderbewegungen.

Vögel schicken ein SMS pro Stunde

Im Almtal wurden zehn Nichtbrüter mit GPS-Sendern ausgestattet, einer Art Mini-Rucksack mit GPS-Modul und SIM-Karte wie bei einem Handy und einer kleinen Solarplatte als Energiequelle. Damit kann man die Bewegungen der Tiere ziemlich genau verfolgen. Die Vögel schicken Loretto quasi stündlich ein SMS und teilen ihm ihre Position mit. „Ich kann ihnen aber auch ein SMS schicken und beispielsweise einstellen, dass ich ab nun nur noch alle zwei Stunden eine Info will. Das werde ich beispielsweise dann tun, wenn die Batterie schon sehr schwach ist.“

Walters Batterie hielt sich besonders gut. Der Vielflieger legte, wie erwähnt, 11.000 Flugkilometer zurück. Er war im Toten Gebirge, in der Steiermark, in Salzburg, in Deutschland, Tirol, Südtirol, in Slowenien, flog dann wieder nach Tirol. Andere Raben machten „nur“ eine Österreich-Rundreise, wieder andere zog es nach Italien und Süddeutschland. Das geflogene Tagesmaximum betrug 160 Kilometer, der Rabe war zeitweise mit mehr als 40 km/h unterwegs.

Loretto: „Unser Feinspitz Avatar flog im Winter in bekannten Tiroler Skigebieten von Hütte zu Hütte und holte sich überall Delikatessen aus den essbaren Überresten. Jetzt ist er wieder in Grünau.“ Manche Vögel bleiben monatelang an einem Fleck, oder einige Jahre, andere pendeln täglich oder wöchentlich.

Viele der Nichtbrüter, vor allem die ein wenig älteren, haben ihre Lieblingsplätze, zu denen sie immer wieder zurückkehren. „Wir vermuten, dass sie hier ihr Futter versteckt haben und beobachten, ob es denn Langfinger gibt. Mutmaßliche Diebe werden dann rasch verjagt oder das Futter im Schnabel in Sicherheit gebracht.“ Im Verstecken sind Raben wahre Meister. Sie versuchen dabei, aus dem Blickfeld anderer zu gehen. Schaut ihnen aber doch ein anderer Rabe zu, merken sie sich den sehr gut. Sie wissen also genau, welche Artgenossen sie beobachtet haben und machen zur Täuschung mitunter auch Scheinverstecke. Ein Rekordhalter im Versteckspiel war ein amerikanischer Kiefernhäher, der pro Saison 100.000 Futterstücke versteckt hat. Ob er sich alle Verstecke gemerkt hat? „Eher nicht“, mutmaßt Loretto. In Österreich „scheiterte“ eine Studentin nach 25 Verstecken: Sie hatte vergessen, wo sie die Futterstücke verteilt hatte, der Rabe, der sie dabei beobachten durfte, aber nicht.

Es sei sehr wahrscheinlich, so Loretto, dass Lieblingsplätze und auch Schlafplätze nicht ausschließlich etwas mit Nahrung zu tun haben, scheinbar handelt es sich auch um Tummelplätze. Raben treffen sich also quasi auf einen Tratsch, setzen sich zu Freunden. Sie spielen erwiesenermaßen auch, vertreiben sich ihre Zeit mit Flugspielen, machen Loopings, fliegen am Rücken oder spielen am Boden – beispielsweise mit einem Tannenzapfen, einer versucht, diesen den anderen abzujagen. Ein Freund darf den Zapfen wegnehmen, ein Fremder oder unsympathischer Untergeordneter eher nicht.

„Jetzt ist er richtig selbstbewusst“

So erging es Paul eine Zeitlang. Der wilde Rabe im Almtal war im Rang ganz, ganz niedrig und wurde stets von allen heruntergemacht. Das wurde dem Vogel zu viel, er verschwand. Nach einem Jahr aber war er wieder da. „Richtig selbstbewusst ist er geworden“, erzählt Loretto, „jetzt macht er die anderen nieder. Und eine Freundin hat er in der Zwischenzeit auch gefunden.“

Hat er in seiner Abwesenheit eine Art Selbstsicherheitstraining gemacht? Mit wem hat er die Zeit verbracht? Und stimmt es, dass, wie man annimmt, Raben, die in eine Dorfgemeinschaft integriert sind, länger bleiben als Außenseiter, die von Ranghöheren stets angegriffen werden? Das könnte ein nächstes Projekt klären. Loretto: „Wir hoffen sehr, dass dieses Projekt finanziert wird.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.11.2015)

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