Falsche Müllabfuhr in der Zelle

Rain continues to pour down over swollen Buffalo Bayou in Houston Texas
Rain continues to pour down over swollen Buffalo Bayou in Houston Texas(c) REUTERS (DANIEL KRAMER)
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Medizin. Wiener Mediziner suchen nach Ursachen der Herbst-Winter-Depression. Es scheint, dass ein Enzym Glückshormone im Gehirn abbaut, bevor diese wirken können.

Viele Menschen, die im Herbst und Winter müde und schlapp sind, sagen es einfach so dahin: „Vielleicht hab' ich eine Winterdepression“. Doch dieses Krankheitsbild ist kein Scherz: Etwa zehn Prozent der Menschen mit einer depressiven Erkrankung leiden an saisonal abhängiger Depression (SAD), die Herbst-Winter-Depression genannt wird. „Eine aktuelle Studie zeigt, dass in Österreich 1,9 bis 2,4 Prozent der Menschen eine saisonal abhängige Depression haben“, sagt Dietmar Winkler, stellvertretender Leiter der SAD-Ambulanz der Med-Uni Wien. Bei den meisten der Patienten treten im Herbst und Winter zeitlich gehäuft depressive Phasen auf: mit verstärktem Schlafbedürfnis, Energiemangel, vermehrtem Appetit, Gewichtszunahme und depressiven und ängstlichen Stimmungslagen.

„Ein Viertel der SAD-Patienten haben einen bipolaren Verlauf mit hypomanischen Phasen im Frühjahr und Sommer“, erklärt Winkler. Sie erleben quasi das Gegenteil der Herbst-Winter-Depression mit gesteigertem Antrieb, Gereiztheit, wenig Schlafbedürfnis und erhöhten sozialen Kontakten.

Helles, weißes Licht hilft

Das Besondere an saisonal abhängiger Depression ist jedenfalls, dass es zusätzlich zu den endogenen Faktoren, also Veränderungen, die im Patienten passieren, auch exogene Auslöser der Depression gibt wie die Tageslichtdauer. „Die Lichtmangel-Hypothese geht davon aus, dass man die Symptomatik verbessern kann, indem man ausreichend helles Licht zuführt. Seit den 1980er-Jahren weiß man, dass helles, weißes Licht den Patienten hilft“, so Winkler.

Auch in der SAD-Ambulanz im Wiener AKH wird Lichttherapie durchgeführt: Spezielle Leuchtstoffröhren erzeugen 10.000 Lux Lichtstärke, in die der Patient hineinschaut. Über die Netzhaut und den Sehnerv gelangt die Extraportion Licht in das Gehirn, wo die Störung des Schlaf-Wachrhythmus, bzw. die Unregelmäßigkeit der inneren Uhr so behoben werden soll.

„Seit den 1990er-Jahren ist aber bekannt, dass nicht nur der Schlaf-Wachrhythmus betroffen ist, sondern auch einige Neurotransmitter, das sind Botenstoffe zwischen Nervenzellen“, erklärt Winkler. Es sind genau die gleichen Botenstoffe, die bei klassischen Depressionen aus dem Lot geraten: Serotonin, Noradrenalin und Dopamin. Sie werden populärwissenschaftlich als Glückshormone bezeichnet.

Alle drei Botenstoffe gehören zur Gruppe der Monoamine, das heißt, sie sind aus einer bestimmten Aminosäure aufgebaut. Das Enzym, das für den Abbau von Monoaminen zuständig ist, heißt Monoamin-Oxidase (MAO). Es zerlegt in den Gehirnzellen die Glückshormone in ihre Einzelteile. Im Normalfall ist das gut und wichtig, müssen doch die Botenstoffe nach ihrer Aktion wieder abgebaut werden. Doch man vermutet, dass zu viel der MAO eine Ursache von Depression ist: Die Müllabfuhr räumt quasi die Glückshormone aus dem Weg, bevor sie ihre Wirkung zeigen können.

Genau diese Theorie will Winklers Team nun in einer Studie, gefördert vom Wissenschaftsfonfs FWF, überprüfen. „Es ist erstmals möglich, die Dichte von MAO im Gehirn live zu beobachten“, so Winkler. Mittels radioaktiv markierter Signalmoleküle, die gezielt an die MAO-Enzyme binden, wird per Positronen-Emissions-Tomografie in 3-D sichtbar, wo im Gehirn zu welchem Zeitpunkt MAO aktiv ist. „Wir vergleichen nun Patienten vor und nach der Lichttherapie im Winter und im Sommer mit gesunden Probanden, um zu sehen, wie stark der Einfluss von MAO auf die Herbst-Winter-Depression ist.“

Placebo-Licht zur Kontrolle der Studie

Zusätzlich erhält eine Studiengruppe Placebo-Licht. Durch eine spezielle Mattscheibe in der Lampe wird die Lichtstärke herabgesenkt, sodass keine biologischen Effekte im Patienten zu erwarten sind.

Die Datenauswertung läuft noch, doch erste Ergebnisse deuten darauf hin, dass sich der Aufwand lohnt. Es scheint bisher so, dass die vermehrte Aktivität der MAO-Enzyme die depressiven Phasen im Winter mitverursacht. Jedenfalls finden sich deutliche Unterschiede in der Enzymdichte vor und nach der Therapie, im Sommer und im Winter und zwischen gesunden und kranken Probanden. Genauere Analysen sollen auch zeigen, in welchen Gehirnregionen die MAO-Aktivität besonders stark mit der Herbst-Winter-Depression zusammenhängt.

LEXIKON

Herbst-Winter-Depression oder saisonal abhängige Depression (SAD) betrifft zehn Prozent der Patienten mit Depressionen bzw. rund zwei Prozent der Österreicher. Eine Therapie, um exogene (von außen kommende) Faktoren zu behandeln, ist die Lichttherapie. Sie kann, unter ärztlicher Anleitung, zu Hause durchgeführt werden, um durch helles Licht die inneren Rhythmen (auch die Hormonproduktion) in Gleichklang zu bringen. Eine Therapie der endogenen Faktoren kann – sogar prophylaktisch – mit Antidepressiva erfolgen, da bei der SAD die gleichen Neurotransmitter betroffen sind wie bei anderen Depressionen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.11.2015)

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