Wie die Agrikultur unser Genom veränderte

(c) Clemens Fabry
  • Drucken

Die bisher umfassendste Genanalyse früher Europäer zeigt, wie auf die Veränderung der Nahrung und der Lebensart reagiert wurde: mit Änderungen des Stoffwechsels etwa und Stärkung des Immunsystems.

Den „schlimmsten Fehler in ihrer Geschichte“ habe die Menschheit begangen, als sie vor 11.000 Jahren die Landwirtschaft erfand und sesshaft wurde. So urteilte Jared Diamond vor Jahren, er begründete das so: Die Lebenserwartung sank zunächst, die Menschen wurden kleiner und mit neuen Krankheiten geschlagen, Karies etwa. Diamond neigt zur Drastik, sicher ist, dass die Evolution auf die neue Lebensart reagieren musste.

Die Lösungen tragen wir in unseren Genen, etwa in denen für die Verdauung von Milch: Für Babys ist das keinerlei Problem, für viele Erwachsene weltweit aber ein so großes, dass sie keine Milch konsumieren können, bei ihnen stellt das Gen bzw. Enzym für die Verarbeitung des Milchzuckers Laktose nach der Babyphase seine Aktivität ein. Unsere Ahnen fanden eine Mutation, sie ist die bekannteste Reaktion auf die neolithische Revolution mit ihren Nutztieren. Aber sie ist nicht so alt, entstand erst vor 4000 Jahren in Europa. Da war Europa längst von Bauern besiedelt, die sich vor 9000 Jahren von Anatolien aus auf den Weg gemacht hatten, vor 5000 Jahren kam eine zweite Welle: Steppenvölker.

Riskante Reaktion auf Mangel

Beide veränderten unser Erbe nachhaltig, David Reich (Harvard) hat es in der bisher umfassendsten Analyse an 230 Menschen erhoben, die vor 6500 bis 300 Jahren in Europa lebten (Nature 23. 11.): Das deutlichste Signal ist das für die Milch, in diese Gruppe – Anpassung an die neue Nahrung – fallen auch andere, auch riskante: So musste etwa auf einen Mangel reagiert werden, den der Aminosäure Ergothionein.

Diese brauchen wir in der Nahrung, aber jene nach der Revolution – Getreide – hatte nicht viel. So mutierte das Gen SLC22A4, das sorgte für erhöhte Aufnahme, diese Variante brachte aber auch Krankheiten des Darms. Andere Leiden kamen vom Leben in großen sesshaften Verbänden und mit Nutztieren, das brachte erhöhte Ansteckungsgefahren, die Evolution reagierte mit Genvarianten, die gewissen Schutz etwa vor Tuberkulose und Lepra boten. Dann wurden noch die Augen heller, die Haut auch, man erklärt Letzteres gern mit Vitamin D bzw. dem Sonnenlicht, das die Haut braucht, um es zu synthetisieren. Aber die früheren Europäer waren so dunkel wie ihre Ahnen aus Afrika.

Die helle Haut bleibt eher ein Rätsel, und ein noch viel größeres ist die Körpergröße: Die Menschen im Norden wurden größer, die am Mittelmeer kleiner. Reich vermutet, dass der Norden vor allem von hoch gewachsenen Steppenvölkern besiedelt wurde und, ganz große Überraschung: von Ostasiaten, die über Sibirien kamen. Deren Genvarianten für Zahnmorphologie und Haardicke tauchten schon früh in Schweden auf.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.11.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.