Der Truthahn wurde einst nicht verzehrt, sondern verehrt

USA THANKSGIVING TURKEY PARDON
USA THANKSGIVING TURKEY PARDONAPA/EPA/MICHAEL REYNOLDS
  • Drucken

Den US-Indigenen, die den Vogel domestizierten, war er heilig.

Vor fünf Jahren sind US-Archäologen in einer jahrtausendealten Siedlung in Colorado auf ein Massengrab gestoßen: In ihm lagen die Knochen von über 50 Truthähnen, alten und jungen. Aber sie lagen nicht irgendwie durcheinander, sie waren kunstvoll angeordnet und von einem Kreis von Steinen umgeben: „Truthähne waren verehrte Tiere“, erklärt Forscher William Lipe (Washington State University, Pullman): „Ihre Federn waren sehr wertvoll für Decken und andere Zwecke, und die Vögel spielten eine bedeutende Rolle in rituellen Praktiken.“

Der Fund war kein vereinzelter, allerorten zeigt sich in alten Pueblos das gleiche Bild: Truthähne wurden lange Zeit verehrt, nicht verzehrt, ganz im Gegenteil, man fütterte sie durch, mit dem wenigen Mais, den man auf kargen Feldern zog. Seine Kohlenstoffisotopen fanden sich in den Knochen der Truthähne, die nicht zu knapp fraßen: Drei ausgewachsene Vögel verbrauchten im Jahr so viel wie ein erwachsener Mensch, schätzt Lipe (Sciencenow, 25. 11.).

Irgendwann wurden die Kosten zu hoch: Im elften Jahrhundert kamen Truthähne auf den Tisch, ihre Knochen in den gewöhnlichen Hausmüll. Möglicherweise waren die Reserven von anderem Wild erschöpft, möglicherweise waren auch die sozialen Spannungen zwischen Stämmen so groß geworden, dass weite Ausflüge zur Jagd zu gefährlich waren. Wie auch immer: Die heutigen US-Amerikaner können den frühen Indigenen danken, die den Truthahn domestizierten, damals war er noch graziler. Was heute auf den Tisch kommt, ist europäisch aufgefettet: Spanier nahmen Truthähne aus Mexiko mit, und in Europa wurden sie fett gezüchtet.(jl)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.11.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.