Knospen werden abgeschirmt

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Botanik. Innsbrucker Forscher zeigen, wie sich Pflanzen vor Frost schützen. Der Gefriertod tritt ein, wenn Zellen zu viel Wasser verlieren. Doch wichtige Pflanzenteile werden eisfrei gehalten.

Wer an frostigen Tagen durch Parks oder Wälder spaziert, sieht, dass manche Pflanzen mit eisigen Temperaturen zurechtkommen, andere schnell absterben. Jeder Hobbygärtner weiß, welche Gartenpflanzen den Winter nicht überdauern können. Die Frage ist: Wie überstehen winterharte Pflanzen die Eisbildung in ihrem Inneren?

Botaniker um Gilbert Neuner von der Uni Innsbruck forschen seit Jahren an diesem Thema. „Vor allem Holzpflanzen, Bäume und Sträucher, haben Strategien entwickelt, um Frost zu überdauern“, sagt Neuner mit einem Blick aus seinem Laborfenster auf den Botanischen Garten im Stadtteil Hötting.

Auch krautige Pflanzen wie Gräser überstehen Frost in ihren unterirdischen Anteilen. Sobald die Temperaturen im Frühjahr steigen, wachsen neue Sprosse und Knospen aus dem Stammzellengewebe, das bei tiefen Temperaturen keinen Schaden nimmt.

Eisbildung tötet auf zwei Arten

„Für einen lebenden Organismus ist dies verwunderlich: Denn die Eisbildung ist auf zwei Arten tödlich für Zellen“, erklärt Neuner. Erstens sterben sie, wenn in ihrem Inneren die Säfte gefrieren, weil Zellmembranen quasi zerschnitten werden. „Zweitens kommt es zum Gefriertod, wenn der Raum zwischen den Zellen zu stark gefriert; denn die Eisbildung im unbelebten Zellzwischenraum entzieht den Zellen viel Wasser.“ Je mehr Dehydration eine Zelle verträgt, umso länger kann sie bei Eisbildung im Zellzwischenraum überleben. Für die meisten Pflanzenzellen bedeutet erfrieren also vertrocknen. Neuners Team will nun wissen, durch welche Mechanismen sich Pflanzen schützen: Schließlich überleben sie auch in Sibirien bei im Schnitt unter minus 60 Grad Celsius, und bei uns in den Alpen grünt es bei ganzjährig möglichen Minusgraden weit über der Baumgrenze. „Wir können mit der modernen Infrarot-Video-Thermografie im Labor filmen, wo innerhalb von Pflanzen aus Wasser Eis entsteht und wie es sich ausbreitet“, sagt Neuner. Der Prozess der Eisbildung produziert etwas Wärme, die die hochsensible Infrarotkamera sichtbar macht. „So entdeckten wir, dass es innerhalb von Pflanzen Barrieren gibt, an denen das Eis nicht weiterkann.“ Wie einen Hochwasserdamm kann man sich die Eisbarrieren vorstellen: Ganz dicht gepackte Zellen mit möglichst kleinen Poren in den Zellwänden schirmen bestimmte Pflanzenteile ab. Denn es müssen bis zum nächsten Frühling vor allem jene Teile gerettet werden, die neues Grün oder frische Knospen produzieren sollen.

„Sobald ein Kristallisationskeim in einer Pflanze die Eisbildung startet, breitet sich die Eiswelle schlagartig mit 27 Zentimetern pro Sekunde in den Zellzwischenräumen aus. Aber hinter den Barrieren bleibt es eisfrei“, sagt Neuner. Fichten gefrieren beispielsweise spätestens ab minus zwei Grad, doch ihre Knospen bleiben bis zu minus 40 Grad Celsius eisfrei.

Welche Tricks hat die Pflanze?

„Die Blüten des Heidekrauts überleben auf diese Weise bis zu minus 22 Grad Celsius. Nur wenige Arten besitzen eine echte Eistoleranz in den Blühorganen wie der Gletscherhahnenfuß, der es schafft, bis zu 4200 Metern Höhe zu blühen“, sagt Neuner.

Gefördert vom Wissenschaftsfonds FWF will sein Team nun mehr Details über die Eisbarriere herausfinden: In 3-D-Modellen von mikroskopischen Aufnahmen soll erkannt werden, welche Zellstrukturen für die Barrieren notwendig sind.

Weiters wird Raman- und Infrarotspektroskopie zeigen, welche Moleküle und Substanzen die Zellwände wasserdicht machen. Und die Forscher wollen bestimmte Frostschutzmittel finden, durch die sich Knospenzellen bei minus 40 oder Blüten bei minus 20 Grad Außentemperatur eisfrei halten.

LEXIKON

Frostschutzmittelder Natur. Eisfische in der Antarktis überleben durch Glyko-Proteine im Blut bei minus zwei Grad Wassertemperatur. Insekten nutzen Glycerin oft als Frostschutz im Körper. Auch Pflanzen schützen sich meist mit Zuckermolekülen im Zellinneren vor dem Gefriertod, aber auch durch besondere Strukturen in den Zellwänden vor der Austrocknung durch große Kälte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.11.2015)

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