Vereinigung der Einzeller

Superorganismen: Jedes dieser Gebilde besteht aus tausenden Amöben, die sich zu einem Körper vereint haben.
Superorganismen: Jedes dieser Gebilde besteht aus tausenden Amöben, die sich zu einem Körper vereint haben. (c) Bruno in Columbus/Wikipedia
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Auch Bakterien etc. leben nicht immer allein, oft tun sie sich in Massen zusammen und kooperieren, mit chemischer und elektrischer Kommunikation.

Kooperation! Die ist der Schlüssel zum Erfolg des Menschen, sie hat uns unsere besonderen Gehirne beschert und alles, was wir damit können, höchste Kultur, höchste Barbarei, sie hat uns sogar dazu befähigt, das Gesetz zu durchbrechen, das die Biologie und die Ökonomie und damit die Welt beherrscht, das des Primats des Eigennutzes: Unter Menschen gibt es völlig Selbstlose, die ihr Leben für andere, auch ihnen ganz Unbekannte, riskieren, gar wegwerfen. Das macht uns keiner nach!

Aber viele haben es uns vorgemacht, und zwar just jene, die gar kein Gehirn haben und auch keines haben können, weil sie nur aus einer einzigen Zelle bestehen: Dictyostelium discoideum etwa, das ist eine Amöbe, die in der Erde lebt und sich von Bakterien ernährt, jede für sich. Aber wenn ein Stück Boden abgegrast ist, tun sich bis zu 100.000 Individuen zusammen, zu etwas, was ein wenig aussieht wie eine Schnecke und deshalb Slug genannt wird. Dann wandern sie los, manche vorn, im Kopf des gemeinsamen Körpers, manche im Fuß, und von denen im Kopf formen sich 20 Prozent in ein Stützgewebe um, das den Weg bahnt.

Das dient dem gemeinsamen Wohl – aber nicht dem der 20 Prozent, sie können sich nicht mehr reproduzieren. Wie geht das zu? Wie finden sich Einzelgänger zusammen, wie teilen sie die Arbeit und die Chancen auf Vermehrung, und das so, dass es an Superorganismen wie den Bienenstaat erinnert? Und doch viel freundlicher wirkt? Der Bienenstaat ist eine harte Diktatur, deren Regentin alle anderen mit chemischen Mitteln manipuliert. (Darauf deutet immer mehr, das idyllische Bild vom Band der Verwandtschaft bzw. ihrer Gene erodiert.) Die Einzeller arbeiten auch mit Chemie, aber bei ihnen herrscht milde Anarchie – keine Macht für niemanden! –, Bonnie Bassler (Princeton) bemerkte es Anfang der 1990er-Jahre an Leuchtbakterien, Vibrio fischeri, die mit Tintenfischen vergesellschaftet sind. In deren Inneren leben sie, gut geschützt und wohl genährt, im Gegenzug machen sie Licht, es hilft den Tintenfischen in mondhellen Nächten, sie fallen dann Jägern nicht so ins Auge.

Aber Licht machen die Bakterien erst, wenn genug von ihnen versammelt sind, sonst wäre es zu trüb. Und wann sind genug versammelt? Jedes Bakterium scheidet eine Chemikalie aus und misst zugleich deren Konzentration in der Umgebung. So zählen sie die Köpfe, man nennt es Quorum Sensing, nach dem Verfahren, in dem im Senat in Rom die Beschlussfähigkeit erhoben wurde. Ist bei V. fischeri das Quorum erreicht, ist zugleich der Beschluss gefasst – das gemeinsame Illuminieren des Tintenfisches hebt an.

„Ach, wie niedlich“, bekam Bassler zu hören, als sie ihren Fund auf Konferenzen präsentierte. Das änderte sich, als sie das gleiche Phänomen bei einem Verwandten von V. fischeri fand, V. cholerae, er trägt seine Bedrohung im Namen. Auch diese Bakterien werden erst aktiv, wenn die Population groß genug ist, diesmal zum Überrennen des Immunsystems. Viele andere halten es auch so, Kolibakterien vom Stamm 0157:H7 etwa, sie setzen nach Quorum Sensing im Darm Gifte frei, die tödlichen Durchfall verursachen.


Wunderwerk Biofilm. Oder Pseudomonas aerunginosa. Dieses Bakterium kann lang ganz harmlos in der Lunge hausen und sich mehren. Dann schlägt es los – mit Lungenentzündung –, aber in einer aufgestuften Variante: Die Bakterien werden nicht nur alle virulent, sie bauen auch etwas gemeinsam, einen Biofilm. Dessen harmlosere Varianten sind uns aus dem Alltag vertraut, Biofilme überwuchern Zähne und verschleimen Waschbeckenabflüsse. Das ist lästig genug, Biofilme können aber auch den Tod bringen, wenn sie sich irgendwo im Körper auf einem Gewebe oder einem Implantat ansiedeln, kein Antibiotikum kann sie wieder vertreiben.

Sieht man von dieser Bedrohung vorerst ab, ist ein Biofilm ein Wunderwerk, in dem Millionen Bakterien sich zusammentun, zu etwas, was sich mit einer wehrhaften Stadt vergleich lässt: Hinter einer befestigten Peripherie aus Biopolymeren erstreckt sich ein Substrat aus Schleim, durchzogen von Ver- und Entsorgungskanälen. An denen entwickeln sich genetisch ganz identische Bewohner zu hoch differenzierten Spezialisten, manche sorgen für Waffen, andere für Nahrung. Wie wird das organisiert? Wieder über Chemie, Gürol Süel (UC San Diego) hat es am Bacillus subtilis bemerkt, dieses Bakterium hat, wie alle anderen auch, ein Problem zu lösen, das es sich mit dem Wachstum des eigenen Biofilms einhandelt: Irgendwann ist er so groß, dass im Zentrum nicht mehr genug Nahrung ankommt. Das Zentrum wird aber gebraucht, von dort werden Reserven mobilisiert, wenn an der Peripherie Schäden entstanden sind.

Deshalb stellt der Biofilm von B. subtilis periodisch sein Wachstum ein, bis neuer Nachschub nach innen gebracht ist, dann beginnt das Wachsen wieder, so oszilliert das Ganze. Die entsprechenden Signale kommen mit dem Futter bzw. dem Stickstoff in ihm: Der wird im Zentrum in eine Form gebracht – Ammonium –, von der sich alle ernähren, auch jene an der Peripherie. Die stellen ihre Aktivitäten ein, wenn der Nachschub von innen versiegt (Nature 523, S. 550). Güel hofft aus diesem Befund auf eine Strategie gegen Biofilme, bisher ist alles gescheitert: Man hat versucht, die Signale zu unterdrücken, man hat umgekehrt versucht, sie so zu verstärken, dass Bakterien verfrüht losschlagen, in zu geringer Zahl. Nichts hat geholfen, Güel rät, Biofilme außen so zu überfüttern, dass das Wachstum nie aufhört und innen alles zusammenbricht.

Oder ginge es noch ganz anders? Kaum hatte Güel sein Manuskript an Nature geschickt, fiel ihm wieder etwas auf: „Biofilme funktionieren wie ein Mikrobengehirn.“ (Nature 21. 10.) Mitglieder eines Biofilms kommunizieren so miteinander wie Zellen eines Gehirns, mit elektrischen Signalen: Wenn die Bakterien im Zentrum darben, setzen sie über Ionenkanäle Kalium frei, positiv geladenes, die Nachbarn folgen, es pflanzt sich fort wie eine Welle. Ganz ähnlich geht es bei manchen Leiden in Menschengehirnen zu, bei epileptischen Anfällen etwa, auch bei Migräne. Medikamente gegen diese könnten also vielleicht auch die Mikrobengehirne der Biofilme stilllegen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.11.2015)

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