Geglückte Goldsuche

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Mikrobiologie. Wiener Forscher fanden Bakterien, nach denen Generationen von Wissenschaftlern gesucht hatten: Diese Nitrospira sind für den lebensnotwendigen Stickstoffkreislauf wichtig und kommen in Böden und Gewässern vor.

Dass nach 125 Jahren der Suche plötzlich unsere und eine niederländische Gruppe zugleich Nitrospira-Bakterien entdecken, die sowohl Ammonium in Nitrit als auch Nitrit in Nitrat umwandeln können, ist fast unheimlich“, erzählt Michael Wagner vom Department für Mikrobiologie und Ökosystemforschung der Uni Wien. Auch dem Fachmagazin „Nature“ war das besondere Aufmerksamkeit wert: Die niederländische und die österreichische Publikation wurden Seite an Seite im selben Heft abgedruckt, ganz ohne Konkurrenz.

„Die erste Frage, wenn ich in der Vorlesung erzähle, dass es für die zwei Schritte der Ammonium-Umwandlung zwei Gruppen von Mikroorganismen gibt, ist immer: Warum gibt es nicht eine Gruppe, die beide Schritte in sich vereint? Das wäre energetisch sinnvoll und müsste sich in der Evolution durchsetzen“, sagt Wagner, der am Freitag mit dem Erwin-Schrödinger-Preis der ÖAW ausgezeichnet wurde.

Recht unglaublich klingt auch die Geschichte, wie die Wiener an die Bakterien kamen: „Eine russische Kollegin, die kurz vor der Pensionierung steht und ihr ganzes Leben nach den Bakterien suchte, kam mit einer Probe zu uns nach Wien und sagte: ,Ich habe das Gefühl, dass hier etwas Besonderes drin ist.‘“ Die Bakterien hatte sie an einer Ölbohrstelle gesammelt, im russischen Nirgendwo, wo eine 1200 Meter tiefe Bohrung aber kein Öl zutage brachte. „Es sprudelt dort nur heißes Wasser aus dem Boden. Doch Elena Lebedeva fuhr hin und nahm eine Probe mit zu uns.“

Von Moskau nach Wien

In Moskau hatte Lebedeva nicht die technischen Möglichkeiten, die Bakterien genomisch und molekular genauer zu untersuchen. Dies geschah nun im Labor von Wagner, der auf Bakterien, die Ammonium zu Nitrit verwandeln, spezialisiert ist – gemeinsam mit der Gruppe von Holger Daims am selben Department, die sich auf Mikroorganismen, die Nitrit zu Nitrat verwandeln, konzentriert. Förderungen für die Forschung kamen vom Wissenschaftsfond FWF und von Wagners ERC Advanced Grant des Europäischen Forschungsrates.

„Ohne Mikroorganismen, die diese Nitrifikation betreiben, wäre Leben auf der Erde gar nicht möglich“, sagt Wagner. In Kläranlagen holen die Bakterien Stickstoff aus dem Abwasser und verwandeln ihn – mithilfe anderer Mikroben – in harmlosen Luftstickstoff. In der industriellen Landwirtschaft sind Nitrifikationsbakterien hingegen unerwünscht, da sie den teuer aufgebrachten Dünger – meist Ammonium – im Boden in Nitrat verwandeln, das leicht ausgeschwemmt wird, oft schneller, als Pflanzen den Stickstoff aufnehmen können.

Seit der Entdeckung der Nitrifikationsbakterien vor 125 Jahren fragen sich Biologen: Warum gibt es eine Gruppe, die Ammonium in Nitrit verwandelt, und eine zweite, die Nitrit in Nitrat umsetzt? Wieso das nicht in einem Organismus klappt, blieb ein Rätsel. Weltweit suchten Forscher in Böden und Gewässer nach Bakterien, die vielleicht doch beide Schritte selbst schaffen. Und tatsächlich fand sich im Wasser der fehlgeschlagenen Ölbohrung aus Russland eine Bakterienart, Nitrospira sp., die beide Schritte der Nitrifikation in sich vereint. „Das ist, als ob nach Generationen von Goldsuchern wir die Ersten sind, die ein Goldnugget im Sieb haben“, sagt Wagner. Die Befürchtung, dass man einen Exoten entdeckt hat, der sonst nirgendwo vorkommt, bestätigte sich nicht: „Jetzt, da wir wussten, wonach wir suchen, konnten wir die Bakterien in vielen anderen Böden und Gewässern nachweisen. Sogar in der Kläranlage der Vet-Med-Uni Wien.“ Zugleich fanden Forscher der Radboud-Universität Nijmegen in den Niederlanden in einer Fischzucht ebenfalls Nitrospira-Bakterien, die alle Schritte der Nitrifikation ausführen können. „Nur im Meer konnten wir sie noch nicht finden“, sagt Wagner.

Lehrbücher neu schreiben

Das Rätsel der Nitrifikation bleibt trotzdem: Wenn es möglich ist, beide Schritte zu vereinen, warum machen viele Bakterien nur einen der Arbeitsschritte? Wieso können die neu entdeckten und die herkömmlichen Bakterientypen friedlich koexistieren? Welche Methode der Stickstoffumwandlung ist in welcher Umgebung erfolgreicher? Das sind Fragen, die die Forscher beantworten wollen, während nun Lehrbücher zum Stickstoffkreislauf weltweit neu geschrieben werden.

LEXIKON

Nitrifikation ist ein von Mikroben durchgeführter Prozess im natürlichen Stickstoffkreislauf. Im ersten Schritt wird Ammonium (NH4) in Nitrit (NO2) umgewandelt, im zweiten Nitrit in Nitrat (NO3). Denitrifikationsmikroben wandeln dann Nitrat in Luftstickstoff (N2) um.

Die Erkenntnis, dass Nitrospira-Bakterien beide Schritte vereinen können, kann in Kläranlagen helfen, Harnstoff effizienter zu eliminieren. Auch Stickstoffdünger, ohne den eine Ernährung der Weltbevölkerung nicht möglich wäre, könnte verbessert werden.

IN ZAHLEN

125 Jahre suchten Forscher nach Bakterien, die im Stickstoffkreislauf Ammonium in Nitrit und Nitrit in Nitrat verwandeln können.

2 Forschergruppen fanden nun zugleich Nitrospira-Bakterien, die beide Schritte der Nitrifikation in sich vereinen: an der Uni Wien und der Uni Nijmegen in den Niederlanden.

5000 -mal wurde der „Nature“-Artikel der Gruppe um M. Wagner und H. Daims (Uni Wien) in wenigen Tagen heruntergeladen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.12.2015)

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