Ökonomie: Lässt sich der Krieg durch Handel domestizieren?

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Die Zahl der Kriege zwischen Staaten ist Mitte des vergangenen Jahrhunderts stark zurückgegangen und seitdem auf historisch niederem Niveau geblieben. Ein US-Ökonom sieht den aufblühenden Welthandel als Grund.

Kann man Kriege verhindern? Dazu müsste man erst einmal wissen, wie sie entstehen. Nachgedacht darüber wurde immer, im vergangenen Jahrhundert gar institutionalisiert durch die Friedensforschung, herausgekommen ist wenig – bzw. eine unübersehbare Liste von Hypothesen –, und von der Friedensforschung hat man auch lang nichts gehört. Auf kleiner Flamme kümmern sich Ökonomen, vor allem in den USA, sie gehen vor allem einer Frage nach: „Make trade not war?“

Die Hoffnung, dass Handel Kriege verhindern könnte, ist alt, der Zweifel daran ist es auch. Zur Klärung hat Matthew Jackson (Stanford) die Kriege seit 1820 durchgezählt – „Krieg“ verstanden als Gewalt zwischen Staaten mit mehr als tausend Toten –, er ist zu einem frappanten Befund gekommen: Um die Mitte des 20. Jahrhunderts bzw. seither hat sich die Zahl der Kriege drastisch reduziert, auf ein Zehntel: Zwischen 1820 und 1949 zogen pro Jahr im statistischen Mittel 0,00059 Staaten pro Jahr in Kriege, ab 1950 waren es 0,00006, zudem fanden die meisten dieser Kriege zwischen weniger entwickelten Staaten statt, die großen Ausnahmen waren Korea, Vietnam und die Falkland-Inseln.

Was ist um 1950 herum geschehen? Die Exporte sind gestiegen, von sieben Prozent der Nationalprodukte 1950 auf 25 im Jahr 2012. Aber so einfach ist die Rechnung nicht: Eine ähnliche Steigerung hat es schon einmal gegeben, von 1870 bis 1913, da ging es von fünf Prozent auf zwölf. Dann kam der Große Krieg. Jackson sucht deshalb nach einer zusätzlichen Variablen, er findet sie in der Zahl der Partner, die Handel miteinander treiben: 1870 hatte jedes Land drei größere Handelspartner, im späten 20. Jahrhundert waren es 17 bis 34, je nachdem, wie Handel definiert wird.

Das schlug durch auf die Verlässlichkeit von Bündnispartnern: Von 1860 bis 1950 wurde häufig gewechselt, nach fünf Jahren waren noch 0,659 der Partnerschaften aufrecht, ab 1950 waren es 0,949, früher sprangen also 30 Prozent ab, nun kaum fünf. „Eine mögliche Erklärung für den Rückgang der Kriege ist die Expansion des internationalen Handels“, schließt Jackson (Pnas 15. 12.).

Friedensstifter: Demokratie? Bombe?

Das ist vorsichtig formuliert, mit Grund: So hoch wie 1913 wurden die Exporte erst wieder 1973. Was hat zuvor den (brüchigen) Frieden gerettet? Eine Hypothese hält Demokratien für weniger kriegslüstern, aber Jackson schränkt ein: Demokratien müssen schon auch reich sein. Oder hat, so unangenehm die Vorstellung ist, eine Technik um 1950 halbwegs für Ruhe gesorgt, die der Atombombe? Auch hier winkt Jackson ab, es passt nicht zu den vielen Formeln, in denen er Krieg und Ökonomie fassen will. Das allerdings spricht eher gegen die Formeln, die die friedensstiftende Macht des Handels belegen sollen.

Die hat er ohne Zweifel – Musterbeispiel ist die Versöhnung Frankreich/Deutschland –, aber in Kriege spielt unendlich viel hinein, von nüchternster Geopolitik bis zu uraltem Hass. Vor allem eines aber mindert die Kraft von Jacksons Analyse: Er redet vom Krieg zwischen Staaten, und der ist eher von gestern. Der von heute ist kaum mehr überschaubar: Da fallen Ethnien übereinander her, Serben und Kroaten etwa, da werden fünfte Kolonnen losgeschickt, von Russland in die Ukraine, da zerbomben Diktatoren ihre Untertanen, da führen Warlords etwa in Afghanistan in archaische Zeiten zurück – und marodierende Mörderbanden weltweit in noch archaischere. Handel treiben die durchaus, extensiv, Waffen brauchen sie schon.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.12.2015)

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