Anthropozän: Die Welt ist und wird nicht mehr, wie sie war

(c) EPA (Orestis Panagiotou)
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Dass der Mensch die Erde umbaut, ganz unabsichtlich, fiel zuerst bei der Erwärmung bzw. den Treibhausgasen auf. Aber nun hat sich ein viel älterer und breiterer Effekt gezeigt: Der Mensch hat das Muster verändert, in dem die Natur das Leben organisiert.

Man kann es sich schwer vorstellen, dass vor etwa 6000 Jahren etwas kam bzw. angerichtet wurde, das ein System durcheinander brachte, das über 300 Millionen Jahre stabil geblieben war. In diesen Jahrmillionen gab es zwei Massensterben – das am Ende des Perm vor 252 Millionen Jahren, es war das größte von allen, und das vor 65 Millionen Jahren, bei dem die Saurier gingen –, in diesem Zeitraum kam enorme Hitze, im Temperaturmaximum vor 53 Millionen Jahren, enorme Kälte kam später auch, die der Eiszeiten. Und doch organisierte sich die belebte Natur immer nach dem gleichen Muster: Immer gab es Lebensformen, die gemeinsam mit anderen die gleichen Habitate füllten, so wie es etwa die Geparden und die Giraffen heute tun. Sie bewohnen Savannen, obendrein ernähren sich die einen (auch) von den anderen.

Solche Paare sind nicht die Norm, das meiste Leben ist nach Zufall verteilt, der eine Baum wächst da, der andere dort, in der Fauna ist es nicht anders. Aber es gibt Paare, die mit höherer als Zufallswahrscheinlichkeit im gleichen Habitat sind.

Nur: Es gab früher viel mehr, sie haben sich ausgedünnt, Kathleen Lyons (Smithsonian Institution) hat es im breiten Vergleich über 300 Millionen an 360.000 Artpaaren gezeigt, die ältesten waren Pflanzen – sie haben mehr Spuren hinterlassen, Pollen vor allem –, später kamen Tiere dazu. Die Arten wechselten, dramatisch bei den Massensterben, aber das Paarmuster blieb konstant bzw. sein Anteil am ganzen Leben blieb es. Vor 12.000 Jahren änderte sich das, und vor 6000 Jahren kam der große Schnitt, der Anteil der Paare sank auf die Hälfte. Was war geschehen? Am Klima lag es nicht. Zwar ging vor 12.000 Jahren die letzte Eiszeit zu Ende, aber das Leben hatte schon ganz andere Schläge weggesteckt.

Wann hat die neue Zeit begonnen?

Es kann nur an einem gelegen haben bzw. an der einen Art, die sich die Erde untertan bzw. an ihren Umbau machte. Dass der Mensch alles verändert und ein neues Erdzeitalter eingeläutet hat, wird seit Jahren debattiert, anno 2000 fand Chemienobelpreisträger Paul Crutzen das Stichwort dafür: „Anthropozän“. Crutzen ging es vor allem um die Erwärmung seit Beginn der Industrialisierung, mit der hob für ihn auch das Anthropozän an. Andere sahen es schon viel früher gekommen, Klimatologe William Ruddiman (University of Virginia) vor allem, für ihn begann die unabsichtliche Manipulation des Klimas vor 7000 bis 5000 Jahren, durch die Landwirtschaft, Rodungen und Reisanbau.

Darüber wurde viel gestritten, meist ging es um das Klima und die Treibhausgase. Deren Reduktion kann man sich vorstellen – in Paris wurde sie schließlich gerade ausgerufen –, aber was Lyons entdeckt hat, ist ein viel breiteres Phänomen und nicht reversibel. Es ist auch nicht klar, was alles zusammenspielte: Vor 12.000 Jahren begann etwa in Nordamerika die große Jagd, die fast alle großen Tiere, von Mammuts abwärts, ausrottete. Vor 12.000 Jahren begann aber auch in Anatolien die Landwirtschaft, die Flächen brauchte und die Habitate des restlichen Lebens zurückdrängte und zerschnitt, mit großflächigen Rodungen, auch durch Feuer, zugleich wurden domestizierte Tier- und Pflanzenarten neu verteilt. Vor 6000 Jahren kam die Agrikultur auch nach Nordamerika, von dort hat Lyons die meisten Fossilien, deshalb datiert sie das ganze Geschehen damit (Nature 16. 12.).

„Lyons Befund verstärkt den Eindruck, dass das Anthropozän sich nicht einfach von dem davorliegenden Holozän unterscheidet, sondern von allen früheren Episoden auf diesem Planeten.“ So reagierte Jan Zalasiewicz, Paläobiologe an der University of Leicester und zentrale Figur, wenn es um das Anthropozän bzw. den Namen geht: Über die Erdzeitalter wacht eine Kommission – die International Comission on Stratigraphy (ICS) –, sie entscheidet, ob eine neue Zeit gekommen ist und wann.

1952 mit den Atombombentests!

Diese Entscheidung wurde mehrfach vertagt, 2016 soll sie fallen. Dann wird es wohl das Anthropozän ganz offiziell geben. Aber wann hat es begonnen? Crutzen wollte eben den Beginn der Industrialisierung, manche Anthropologen wollten viel weiter zurück, bis zu 60.000 Jahren. Für das ICS ist so etwas unbrauchbar, eine Zeitenwende braucht feste Signale im Gestein. Deshalb wird das Anthropozän vermutlich 1952 beginnen, damals hinterließen Atombombentests weltweit ihre unverrückbaren – und nur langsam verbleichenden – Spuren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.12.2015)

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