Ein Goldenes Zeitalter ohne Gemetzel gab es nicht

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KENYA-SCIENCE-SKELETON(c) APA/AFP/NATURE/MARTA MIRAZON LAH
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Auch unter prähistorischen Jägern und Sammlern wurden Auseinandersetzungen zwischen Gruppen mit höchster Gewalt und Bestialität ausgetragen, das zeigt ein 10.000 Jahre alter Fund am Turkana-See in Kenia: Alle Mitglieder einer Gruppe wurden niedergemacht.

Darüber, wann der Krieg begann, herrscht unter Anthropologen beinahe Krieg. Mord und Totschlag hat es wohl von Beginn an gegeben, darin hat die Bibel recht, aber dass Gruppen organisiert mit Waffen in den Händen übereinander herfallen? Offenbar muss es etwas zu holen geben, akkumulierter Reichtum etwa, Vorräte. Die wurden angelegt, als die Menschen die Landwirtschaft erfanden und sesshaft wurden und Mauern um ihre Schätze zogen, oder wenigstens Wälle.

An deren Resten zeigen sich auch erste Spuren von Belagerungen und Schlachten, die früheste tobte vor 6000 Jahren um ein Dorf nahe Schletz 50 Kilometer nördlich von Wien. Dann ging es vor 5500 Jahren im Norden Mesopotamiens um die Stadt Hamoukar, vor 3250 folgte San José Mogote im Oaxa-Tal im heutigen Mexiko. San José hatte große Maisspeicher, Hamoukar hatte Industriewaren – Messer aus Obsidian –, ob Schletz Vorräte hatte, ist unklar, aber auch es hatte etwas zum Rauben: Fast sämtliche Einwohner wurden erschlagen, nur die gebärfähigen Frauen nicht. Ging es um die oder andere Beute auch schon früher? Oder herrschte vor der Landwirtschaft bei den prähistorischen Jägern und Sammlern ein Goldenes Zeitalter ohne Krieg? Daniel Fry etwa, ein US-Anthropologe, vermutet es, er hat die Gewaltakte in und zwischen heutigen Gesellschaften von Jägern und Sammlern ausgewertet, die meisten finden innerhalb von Familien statt: „Der Grundzustand von Jägern und Sammlern ist kein kriegerischer“ (Science 341, S. 270).

Aber Frys eigene Daten sprechen dagegen: Zwar ist bei manchen Jägern und Sammlern Gewalt fast unbekannt, berühmt dafür sind die !Kung in Namibia, aber bei anderen fließt das Blut in Strömen, etwa bei den Tiwi, australischen Aborigines. Gegen einen Naturzustand des Friedens sprechen auch unsere nächsten Verwandten, die Schimpansen, auch sie fallen über ihre Nachbarn her und schlagen sie tot, dabei geht es vor allem um Territorium. Es gibt keinen Grund zur Annahme, dass das erst die heutigen Schimpansen tun, und für ihre nächsten Verwandten gilt das Gleiche: Bisher kannte man einen Fund aus der Zeit vor der Landwirtschaft, in Jebel Saha im Sudan, dort gab es vor 14.000 Jahren einen Friedhof, auf ihm wurden 58 Menschen bestattet, 23 waren gewaltsam zu Tode gekommen.

Kampf um Zugang zu Lagune

Nun kommt Grausigstes aus einem längst trocken gefallenen Uferbereich des Turkana-Sees in Kenia hinzu. Der nährte vor 10.000 Jahren gut, offenbar so gut, dass es einer Gruppe von Jägern und Sammlern noch ärger erging als den Einwohnern von Schletz: In den Sedimenten einer früheren Lagune hat eine Gruppe um Mirazón Lahr (Cambridge) die Überreste von mindestens 21 Menschen gefunden, die einem Gemetzel zum Opfer gefallen sind: Zwölf Skelette sind ziemlich komplett, zehn zeigen ärgste Verletzungen, eingeschlagene Schädel und von Pfeilspitzen zertrümmerte Knochen, bei manchen deutet viel darauf, dass sie gefesselt wurden, so war das etwa bei einer Hochschwangeren, sie wurde erschlagen wie alle (Nature 20. 1.).

Alle? Zumindest war niemand mehr da zum Bestatten, die Leichen fielen in die Lagune. Und warum? Vermutlich ging es um den Zugang zur Lagune und um Vorräte, die Getöteten hatten große Gefäße. „Bei einigen prähistorischen Jägern und Sammlern gehörte Krieg zum Repertoire der Beziehung zwischen Gruppen“, schließt Lahr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.01.2016)

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