Das Legostück muss in die Bindungstasche passen

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In einem soeben verlängerten Doktoratskolleg durchleuchten junge Forscher Strukturen, an die Arzneistoffe im Körper binden. Dies kann in Zukunft das Design von Arzneistoffen am Computer ermöglichen.

Haben Sie je überlegt, warum eine Kopfwehtablette wirkt? Die Moleküle des Wirkstoffes müssen mit Molekülen Ihres Körpers in Wechselwirkung treten, um eine Wirkung zu erreichen. „Arzneistoffe interagieren immer mit Molekülen, es gibt für fast jeden Arzneistoff einen oder mehrere Rezeptoren“, erklärt Steffen Hering vom Department für Pharmakologie und Toxikologie der Uni Wien.

Er ist der Sprecher des FWF-Doktoratskollegs „Molekulare Arzneistoff-Targets“, in dem bisher 20 Studierende aus sieben Ländern an drei Wiener Universitäten die Wechselwirkung von chemischen Substanzen mit ihren Rezeptoren erforschten.

Im Dezember wurde das Doktoratskolleg, das seit 2011 läuft, für weitere vier Jahre verlängert. Zu den bisherigen Partnern TU, Med-Uni und Uni Wien kam das Institute of Science and Technology (IST) Austria bei Klosterneuburg dazu. „Die Vernetzung ist sehr effektiv und hebt das Niveau der Dissertationsprojekte: Jeder Studierende kann die Ressourcen der vier Institutionen nutzen. So wird ein Pharmakologe der Uni Wien auch Methoden der Med-Uni erlernen, neu synthetisierte Arzneistoffe der TU Wien untersuchen und mit der Pharmako-Informatik zusammenarbeiten oder auf Krankheitsmodelle zurückgreifen, die aus Stammzellen am IST Austria entwickelt werden“, sagt Hering.
Was bedeutet Molekulare Arzneistoff-Targets genau? Target nennt man den Angriffsort, an dem ein Arzneistoff im Körper bindet oder aktiv wird. Die Dissertanten des Kollegs konzentrieren sich dabei auf Ionenkanäle und Transporterproteine: Das sind die Strukturen jeder Zelle, die dafür zuständig sind, dass Hormone und Wirkstoffe in die Zelle geschleust werden oder Ionen hinein und hinaus fließen. Ionenkanäle und Transporterproteine können Zellen in unserem Körper erregen oder beruhigen. An Ionenkanälen greifen zum Beispiel Arzneistoffe gegen Bluthochdruck, Herzerkrankungen, Epilepsie oder Diabetes an.

Bindungstaschen am Rezeptor

„Bisher weiß man zwar von vielen Arzneistoffen, an welche Rezeptoren sie binden“, so Hering. Aber es ist oft nicht klar, was an den Bindungstaschen der Rezeptoren passiert. Solche Bindungstaschen sind kleine Teile der Rezeptormoleküle, in die ein Arzneistoff passen muss. Passen bedeutet in dem Fall: Die 3-D-Strukturen müssen aufeinander abgestimmt werden, wie wenn man zwei komplizierte Legoteile verbindet. Und die Atome des Arzneistoffs und des Bindungsorts müssen korrekt zusammenspielen.

Da dies sehr grundlegende Mechanismen im Körper sind, können die Ergebnisse der Forschungen für viele Bereiche hilfreich sein. Die Palette der Erkrankungen, an denen derzeit geforscht wird, ist breit: von Epilepsie oder Angststörungen über Lungenerkrankungen bis zu verschiedenen Krebsarten.

„In Zukunft könnten Arzneistoffe am Computer designt werden, sodass sie perfekt in die Bindungstasche eines Rezeptors passen“, sagt Hering. Dies kann aber nur funktionieren, wenn man die molekulare Struktur dieser Taschen bis ins kleinste Detail kennt. „Deshalb verändern wir sowohl die Strukturen von Arzneistoffen als auch die der Rezeptoren, an die sie andocken.“ Ab jetzt forschen weitere 22 internationale Studierende daran, dass in Zukunft „Computer Drug Design“ möglich ist, von dem man sich gezieltere Wirkungen und weniger Nebenwirkungen erhofft.

Lexikon

Moleküle sind Teilchen, die aus mehreren Atomen bestehen. Sie sind der kleinste Teil eines bestimmten Reinstoffes. Eine Nische der Forschungen des Doktoratskollegs „Molekulare Arzneistoff-Targets“ ist die Suche nach Naturstoffen, die gegen Erkrankungen wirken. Dies wird von der Pharmaindustrie häufig vernachlässigt. An der Uni kann man gezielt testen, wie neue Substanzen am Rezeptormolekül, an Krankheitsmodellen oder im Tiermodell wirken.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.01.2016)

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