Vor allem Frauen gähnen, wenn andere es tun

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Gähnen ist ansteckend wie kein anderes Verhalten. Aber nicht alle lassen sich gleich stark anstecken.

Heute schon gegähnt? Sie werden es vermutlich demnächst tun, und Ihr Gegenüber am Frühstücks- oder Kaffeehaustisch wird es bald auch tun: Nichts steckt so an wie das Gähnen, man muss jemandem nur dabei zusehen, schon stellt es sich ein. Es reicht sogar, wenn man das Wort „gähnen“ liest, Robert Previne (University of Maryland) hat es erhoben: „30 Prozent der Personen, die fünf Minuten lang einen Bericht über das Gähnen lasen, berichteten, sie hätten selbst gegähnt“ (American Scientist 93, S. 532).

Wozu? Es ist rätselhaft: Viele Wirbeltiere hat man schon gähnen sehen, Säuger, Fische, Vögel, Schlangen. Manche tun es gar lange vor der Geburt, kleine Menschen in der elften Schwangerschaftswoche. Aber wozu? Lang vermutete man, es gehe um das Schnappen von frischer Luft. Aber das ist es nicht, Provine hat eine Gruppe von Testpersonen „verbrauchte“ Luft atmen lassen – mit viel CO2 –, eine andere reinen Sauerstoff, gegähnt wurde gleich viel. Auch die Situationen, in denen gegähnt wird, klären nicht, man gähnt vor Müdigkeit und vor Langeweile, aber auch vor Spannung, Soldaten tun es vor der Schlacht, Athleten vor dem Wettkampf.

Es ist eine Imitation, aber wovon?

Wie auch immer, es gähnen eben auch viele Tiere. Aber nur bei wenigen ist es ansteckend, außer bei uns kennt man das bei Schimpansen und Bonobos und manchen Affen, Pavianen und Makaken – und bei unseren besten Freunden, artübergreifend: Wenn Hunde ihre Herrchen dabei sehen, überfällt es sie auch. Es hat also etwas mit Nachahmen zu tun. Aber nachahmen kann man viel: Makaken entblößen beim Gähnen die Zähne, es ist ein Drohsignal, der Imitator droht zurück. Wir zeigen die Zähne eher nicht, wir verdecken sie mit der Hand, bei uns ist es eher ein Signal, dass keine Gefahr in der Luft liegt.

Ob es das nun ist oder nicht, wahrgenommen wird das Gähnen, und imitiert wird es. Aber nicht von jedem gleich: Elisabetta Palagi (Pisa) hat mit ihren Kollegen fünf Jahre lang Menschen beobachtet, im Alltag – im Labor geht es nicht, niemand gähnt auf Bitten und Befehle –, von früh bis spät. Dabei gähnten alle gleich oft, unabhängig vom Alter und Geschlecht. Aber beim Nachgähnen zeigten sich Differenzen: Man gähnt besonders oft, wenn man jemand dabei sieht, mit dem man eng vertraut ist, ein Familienmitglied oder einen Freund. Und noch öfter als Männer gähnen dann Frauen (Royal Society Open Science 3. 2.). Palagi bringt es damit in Zusammenhang, dass Frauen mehr Empathie haben, sich besser in andere einfühlen können. Wenn man nur wüsste, worin sie sich beim Gähnen einfühlen! (jl)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.02.2016)

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