Ernst Mach: Er relativierte den Raum

Portrait de Ernst Mach 1838 1916 Physicien et philosophe autrichien AUFNAHMEDATUM GESCHAeTZT PUBL
Portrait de Ernst Mach 1838 1916 Physicien et philosophe autrichien AUFNAHMEDATUM GESCHAeTZT PUBLimago/Leemage
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Die Ideen von Ernst Mach beeinflussten Einsteins Suche nach der Gravitationstheorie: zum 100. Todestag des großen Physikers und Philosophen.

Als am 19. Februar 1916 der in Mähren geborene Physiker und Philosoph Ernst Mach starb, war die neue Gravitationstheorie Albert Einsteins gerade etwas mehr als zwei Monate alt. Jene Theorie, um die Einstein jahrelang gerungen hat, zur deren Aufstellung die Ideen Machs entscheidende Impulse gegeben hatten. Doch später distanzierte sich Einstein von dem Mach'schen Prinzip, wie er es nannte.

Was waren diese Ideen, von denen Einstein so begeistert war? Ernst Mach vertrat den Standpunkt, dass nur den Sinnesorganen zugängliche Phänomene bei der Erklärung der Natur Platz haben sollten. Unter diesem Gesichtspunkt kritisierte er den Begriff des absoluten Raums und der absoluten Zeit bei Newton. Begriffe, auf denen die Newton'sche Theorie aufbaut und die es über Jahrhunderte erlaubten, erfolgreich die Planetenbewegung, Sonnen- und Mondfinsternisse und die Bahnen von Kometen zu berechnen.


Trägheitskräfte. Bei der Kritik Machs ging es um die Trägheit, also um das Phänomen, dass Körper Widerstand gegen Bewegungsänderung zeigen. Aus dem Täglichen ist uns der Effekt geläufig: Beim Abbremsen oder Beschleunigen des Autos verspüren wir Kräfte, die dieser Änderung entgegenwirken.

Newton zeigte diese Trägheit anhand eines mit Flüssigkeit gefüllten rotierenden Eimers. Die Flüssigkeit wird durch die Trägheitskräfte (auch Fliehkräfte genannt) nach außen gedrückt. Newtons Erklärung: Trägheit macht sich immer bei Bewegungsänderung bezüglich des absoluten Raums bemerkbar. Mach empfand diese Argumentation als irrig, denn dieser absolute Raum sei für die Physik ein unbrauchbares Konstrukt. Es sei vielmehr die Rotation des Eimers in Bezug auf all die anderen Massen im Universum, die die Flüssigkeit an den Rand drückt. Schärfer formuliert: ohne andere Körper keine Trägheit.

Einstein war von der Idee angetan. In seiner Speziellen Relativitätstheorie ist Geschwindigkeit relativ, d. h. nur in Bezug auf andere Körper feststellbar, Beschleunigung dagegen absolut. Sie macht sich durch eben diese Trägheitskräfte bemerkbar, ohne jeden äußeren Bezug. Einsteins Ziel war, eine Theorie zu formulieren, in der auch Beschleunigung relativ ist, ganz im Sinn von Mach.

Hier kommt die Gravitation ins Spiel, denn Einstein bemerkte, dass sie die gleiche Wirkung wie Beschleunigung auf Körper ausübt. Diese Beobachtung führte schließlich zu seiner Theorie, in der Gravitation auf geometrische Eigenschaften des Raums (eigentlich der Raumzeit) zurückgeführt wird. Geometrie und Materie beeinflussen sich wechselseitig. Diese Beeinflussung sollte laut Einstein so weit gehen, dass es ohne Materie auch keinen Raum geben dürfte, „dass es unmöglich ist, dem Raum und der Zeit notwendig eine getrennte Existenz unabhängig von den wirklichen Objekten der physikalischen Realität zuzuschreiben“.


Einsteins Fehler. Einstein wollte diese Interpretation des Mach'schen Prinzips erzwingen und beging einen entscheidenden Fehler: Er ergänzte seine Gleichungen durch eine „kosmologische Konstante“. 1917 schrieb er an seinen Kollegen Ehrenfest: „Ich habe wieder etwas verbrochen in der Gravitationstheorie, was mich ein wenig in Gefahr bringt, in ein Tollhaus interniert zu werden.“ Kurz nachdem Einstein seine Gleichungen verändert hatte, publizierte der Astronom Wilhelm de Sitter eine Lösung eines kosmologischen Modells ohne Materie. Einstein versuchte Fehler darin zu finden, meinte, dass irgendwo Materie versteckt sein müsse. Schließlich musste er aber die Richtigkeit der Lösung akzeptieren. Es könnte also doch Raum ohne Materie geben, im Widerspruch zu Mach. Es erstaunt, dass Einstein hier noch ganz dem mechanistischen Weltbild des 19. Jahrhundert anhing und dem geometrischen Feld kein Eigenleben zugestand.

Aber nochmals zurück zu Mach und Newton. Eine Möglichkeit, die Erddrehung nachzuweisen, ist mit dem sogenannten Foucaultschen Pendel. Seine Schwingungsebene dreht sich relativ zur Erde. Newton sagt: Das Pendel behält seine Richtung in Bezug auf den absoluten Raum bei, und die Erde dreht sich darunter weg. Mach hingegen meint: Es sind die anderen Gestirne, die die Ebene fixieren.

Lassen sich diese beiden Erklärungen durch Beobachtung unterscheiden? Schließlich können wir das Universum nicht ausräumen. In Gedanken schon: Man stelle sich einen Kosmos vor, in dem es außer der rotierenden Erde keine Massen gibt. Dann müsste nach Mach die Pendelebene mitrotieren. Nun beginnen wir nach und nach Sterne ins Universum einzufüllen. Je mehr Materie vorhanden ist, desto mehr sollte die Pendelebene hinter der Erddrehung zurückbleiben, bis sie schließlich durch die Gestirne fast fixiert ist. Fast, weil im Mach'schen Gedankenexperiment ein kleiner Effekt durch die Erddrehung bestehen bleiben müsste, im Gegensatz zu Newtons Erklärung.

Bei einem Vortrag 1913 in Wien sprach Einstein über die Wirkung rotierender Körper auf ihre Umgebung. Demnach sollte das von dem Körper erzeugte Gravitationsfeld, sprich die Geometrie, dazu führen, dass eine Art von Mitziehen entsteht, analog zu einer zähen Flüssigkeit beim Umrühren.

Diese Idee wurde 1918 vom österreichischen Physiker Hans Thirring und vom deutschen Mathematiker Josef Lense aufgegriffen. Doch wegen seiner Kleinheit konnte der Thirring-Lense-Effekt erst vor ca. zehn Jahren nachgewiesen werden, mit einem mit Gyroskopen (Kreiseln) bestückten Satelliten in einer Erdumlaufbahn. In gewissem Sinn kann man dies als Bestätigung des Mach'schen Prinzips ansehen.

Haben also Machs Ideen in Einsteins Theorie ihren Niederschlag gefunden? Die Antwort ist nicht eindeutig, es gibt viele Formulierungen des Mach'schen Prinzips, die Experten sind nicht einig. Sicher ist, dass Machs Ideen Leitgedanken auf dem Weg zu Allgemeinen Relativitätstheorie waren.
Prof. Peter Christian Aichelburg ist theoretischer Physiker an der Uni Wien.

Physiker, Philosoph

Ernst Mach, 1838 bei Brünn geboren, 1916 in Vaterstetten gestorben, forschte an den Universitäten in Wien, Graz und Prag. Er ist bis heute durch die Mach-Zahl in aller Munde: Sie ist das Verhältnis der Geschwindigkeit eines Körpers zur Schallgeschwindigkeit. Mach war nicht nur Physiker (der z. B. den Dopplereffekt experimentell bestätigte), sondern auch entschiedener Gegner jeder Metaphysik. Seine Haltung war streng positivistisch: Wissenschaft könne nur die Welt, wie sie sich in den Sinneseindrücken zeigt, möglichst einfach beschreiben. Wahrheit sei relativ, relevant sei nur der Nutzen. Der Wiener Kreis sah Mach als Vorreiter.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.02.2016)

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