Molekularbiologie: Kein Bund fürs ganze Leben

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Frauen über 30 Jahre werden schwerer schwanger und bekommen deutlich häufiger Kinder mit Trisomie 21. Schuld daran könnte ein ringförmiger Klebstoff aus Eiweiß sein, der sich mit zunehmendem Alter auflöst.

Maria Theresia von Spanien, Ehefrau von Ludwig XIV., bekam ihr erstes von sechs Kindern mit 23 Jahren. Louise Françoise de La Vallière, eine seiner Mätressen, mit 19 Jahren das erste ihrer vier Kinder. Heute ist eine Frau in Mitteleuropa ungefähr 30 Jahre alt, wenn sie zum ersten Mal Mutter wird. Eine Verschiebung mit Folgen: Denn ab diesem Alter nimmt das Risiko für Fehlgeburten und Trisomien wie das Downsyndrom rapid zu (siehe Grafik). Sind es bis zum 30. Lebensjahr der Mutter noch etwa fünf Prozent der Ungeborenen, die Trisomie haben, liegt ihr Anteil bei 40-jährigen Frauen bereits bei rund 30 Prozent. Allerdings werden durch ein – gewolltes oder ungewolltes – Ende der Schwangerschaften immer weniger Kinder mit Trisomie geboren.

Schuld an den Komplikationen könnte ein ringförmiger molekularer Klebstoff sein, der die Chromosomen in der Eizelle zusammenhält. Forscher des Instituts für Molekulare Biotechnologie (IMBA) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien konnten nun erstmals zeigen, dass sich das sogenannte Kohäsin bereits im weiblichen Fötus bildet und sich das ganze Leben lang nicht erneuert. „Das bedeutet, dass die Chromosomen einer 35-jährigen Frau höchstwahrscheinlich von 35 Jahre alten Chromosomenverbindungen zusammengehalten werden müssen“, sagt Arbeitsgruppenleiterin Kikue Tachibana-Konwalski. Ihre Erkenntnisse veröffentlichten die Wissenschaftler in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift „Current Biology“.

Chromosomen umarmt

Der Eiweißstoff Kohäsin „umarmt“ die Chromosomen, also die Träger des Erbguts, wenn sie sich verdoppeln – ein normaler Vorgang, damit bei der Zellteilung beide Tochterzellen je eine Kopie des Chromosoms bekommen. Das passiert in der Eizelle allerdings erst weit später. „Das Leben aller Eizellen, auch die des Menschen, beginnt zunächst im Fötus“, sagt Kikue Tachibana-Konwalski vom IMBA.

Dort forscht sie mit einem Starting Grant, einer hoch dotierten Nachwuchsförderung der Europäischen Kommission. Anders als bei einem Nobelpreis fließen die 1,5 Millionen Euro aber nicht in ihre Privatkassa: Sie gehen gänzlich in die Forschungsarbeit, mit der sie Einblicke in die Eizelle gewinnen will, um zu verstehen, warum das Risiko in der Schwangerschaft mit zunehmendem Alter der Frau so stark steigt.

Enzymschere zerschneidet Ring

Die vor der Geburt im Körper der Frau gebildeten Eizellen ruhen bis zur Pubertät. Dann weckt der Körper sie periodisch auf. Sie wachsen und werden 100-mal größer als jede andere Zelle. Beim Eisprung zerschneidet eine Enzymschere schließlich die ringförmige Kohäsinstruktur und trennt die beiden Chromosomen wieder. Verschmelzen Ei- und Spermienzelle, wird das Erbgut ein weiteres Mal halbiert – ein Embryo entsteht.

Doch dabei können Komplikationen auftreten. Fehlt etwa ein einzelnes Chromosom, beendet das eine Schwangerschaft, noch bevor sie bemerkt wird (Monosomie). Der Fötus bildet sich nicht richtig aus – ein Grund für die niedrige Fruchtbarkeitsrate bei über 30-Jährigen. Verbleiben fälschlicherweise zwei Kopien eines Chromosoms in der Eizelle und kommt eine weitere Kopie von der Spermienzelle dazu, so entsteht ein Kind mit Trisomie.

Die Arbeitsgruppe um Tachibana-Konwalski konnte nun zeigen, dass für diese Komplikationen das alternde Kohäsin verantwortlich sein könnte. „Wir wollten wissen, ob Kohäsin die Chromosomen nur bei der Entstehung in der Eizelle bindet oder auch noch später“, sagt die 37-jährige Forscherin, die in Graz geboren wurde, in Wien und Japan aufwuchs und in England studierte.

Das lässt sich an Mäusen untersuchen, bei denen alle vier Tage zwölf bis 16 Eizellen erwachen. Die Forscher beobachteten das Kohäsin in den Zellen unter einem Lebendmikroskop. Dabei konnten sie zeigen, dass die Kohäsinringe um die Chromosomen nur einmal, vor der Geburt, entstehen. Und damit nicht genug: Das Kohäsin verringert sich im Laufe des Lebens.

„Wundermittel gibt es keines“

Was heißt das nun für altersbedingte Risikoschwangerschaften? Lassen sich diese künftig verhindern? „Wundermittel gibt es keines“, stellt die Forscherin, selbst Mutter eines dreijährigen Buben, klar. Die Grundlagenforschung steht noch am Anfang, ein besseres Verständnis der Prozesse im Körper ist die Basis, um irgendwann eingreifen zu können. Was das Kohäsin verringert, werde daher ein wichtiger Forschungsfokus der nächsten Jahre sein, sagt Tachibana-Konwalski.

Nur eines scheint heute sicher: Das über Jahrzehnte als Ring um die Chromosomen geschlungene Kohäsin dürfte der langlebigste Eiweißstoff in einer Zelle sein. Doch auch dieser Bund hält eben nicht für die Ewigkeit.

Lexikon

Kohäsin ist ein ringförmiger Eiweißkörper, der die Chromosomenpaare in der Eizelle zusammenhält. Bei der Zellteilung wird diese Struktur wieder zerschnitten. Wiener Forscher haben nun gezeigt, dass sich Kohäsin nur einmal im Fötus bildet und dann mit der Frau altert.

Monosomie bedeutet, dass beim Verschmelzen von Ei- und Samenzelle ein Chromosom fehlt. Es kommt zum Schwangerschaftsabbruch. Bei der Trisomie liegt ein Chromosom zu viel vor. Am häufigsten ist Trisomie 21, das sogenannte Downsyndrom.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.02.2016)

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