Musikmedizin: Mit dem "Radetzkymarsch" gegen Parkinson

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Symbolbild.2009: PROBE(c) APA (Herbert P. Oczeret)
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Der Schmerzforscher Günther Bernatzky untersucht, wie sich Musik in der Medizin einsetzen lässt. „Musikamente“ sollen etwa gegen Demenz, Parkinson und Rückenschmerzen wirken und auch in der Palliativmedizin helfen.

Die Presse:Sie sind auf dem Weg zu einem Kurs für Palliativbetreuung. Welche Rolle spielt Musik in diesem Gebiet der Medizin?

Günther Bernatzky: Musik unterstützt bei der Trauerbegleitung vor und nach dem Sterben den Patienten und Angehörigen. Wenn Assoziationen und Emotionen hervorgerufen werden, hilft das gegen Rückzug, Depression und Verspannung.

Sie sind Schmerzforscher. Seit wann beschäftigen Sie sich mit dem Einsatz von Musik?

Vor circa 20 Jahren haben mich öfter Ärzte angesprochen, ob man Musik nicht im Heilungsprozess einsetzen könnte. Daraufhin habe ich die ersten Studien in Amerika gemacht. Wir haben untersucht, wie Hühnerküken reagieren, wenn man sie zehn Tage lang wiederholt mit Musik beschallt. Dabei stellten wir fest, dass Transmitterstoffe um 200 Prozent erhöht wurden. Wenn der Mensch von diesem Überträgerstoff zu wenig hat, löst das Parkinson aus.

Wie haben Sie diese Information weiter genutzt?

Indem wir Parkinsonpatienten stark rhythmisch akzentuierte Musik, zum Beispiel den „Radetzkymarsch“, vorgespielt haben.

Mit welchem Resultat?

Das Zittern hat sich stark reduziert und die Ganggeschwindigkeit und Rhythmizität wurden besser.

Hilft Musik auch bei Gangschwierigkeiten nach einem Schlaganfall?

Wir haben nur mit Schlaganfallpatienten im Rollstuhl gearbeitet. Bei diesen bewirkte Musik deutliche Verbesserungen. Das kann ich mir auch bezogen auf die Gehfähigkeit vorstellen. Forscher in Finnland haben herausgefunden, dass Musik eine sinnvolle Ergänzung in der Therapie ist. Sie ist besonders wertvoll für Patienten, die noch nicht bereit sind für andere Therapieformen. Musik sollte am besten schon am zweiten Tag eingesetzt werden.

Wie setzt man Musik bei Demenzkranken ein?

Musik aus der Kindheit weckt Erinnerungen. Wer als Kind viele Wiegenlieder gehört hat, erinnert sich im Alter an diese Situation zurück. Die Hirnaktivität und neuronalen Prozesse werden angekurbelt. Bei Demenzpatienten kann Musik außerdem die Orientierung unterstützen, das Sozialverhalten fördern und sogar das Sprachverständnis verbessern.

Ihr Ansatz ist die rezeptive Musikstimulation. Was ist das?

Das ist ausgewählte Musik, die man über optimale Tonquellen hört, wobei man die Gelegenheit haben soll, die Lautstärke selbst zu wählen. Viele glauben, Musiktherapie bedeutet einfach, den Radio einzuschalten. Ich spreche vom Musikament, weil man Musik wie ein Medikament gegen bestimmte Krankheiten nehmen soll: also bestimmte Musik gegen bestimmte Erkrankungen. Bei Schmerzen braucht es beruhigende Musik, die die Muskulatur entspannt und den Blutdruck senkt. Bei einer Studie im Rehabilitationszentrum Saalfelden mussten Patienten mit chronischen Rückenschmerzen mindestens 25 Minuten lang täglich im Bett liegend eine Entspannungs-CD hören. Nach drei Wochen war die Rückmeldung: „Es geht mir deutlich besser, jetzt habe ich auch eine Maßnahme für zu Hause.“

Und die Dosierung?

Wie bei einem Medikament spielen Regelmäßigkeit, Dosierung und Zeitpunkt eine Rolle. Das Wichtigste beim Musikament ist die Motivation, die Musik regelmäßig zu hören. Immer dieselbe, bis der Patient sie nicht mehr mag.

Nur klassische Musik?

Nicht unbedingt. In der Klassik hat man schon viele Beispiele untersucht, etwa den sogenannten Mozart-Effekt. Aber auch aus modernen Genres gibt es passende Musik.

Was weiß man über die Wirkung, wenn man selbst Musik macht?

Das ist wunderbar. Man sollte schon in der Kindheit damit beginnen, denn es formt unser Gehirn: Es verursacht neuronale Verschaltungen, die wir ohne das Musizieren viel schwerer in dieser Dimension erreichen. Der Hippocampus wird stimuliert, Gedächtnisprozesse werden verbessert. Zusätzlich können auch Angst und Stress abnehmen.

Wo nutzt man diese angstreduzierende Wirkung?

Wenn jemand Schmerzen hat, hat er gleichzeitig Angst, Stress und Schlafstörungen. Die Vorstellung, Medikamente einnehmen zu müssen, löst weitere Ängste aus. Der Patient schüttet dabei Angstsubstanzen, sogenannte CCK-Hormone, aus. Das sind Gegenspieler zu den Opiaten, die durch die Anspannung weniger gut wirken. Angenehme, entspannende Musik reduziert Angst und Stress, die medikamentöse Therapie wirkt besser.

In Ihrem Buch schreiben Sie vom Gänsehaut-Feeling beim Musikhören. Wie ist das erklärbar?

Wenn wir Musik hören, die uns gefällt, reagieren bestimmte Gehirnregionen. Das führt zu einem Glücksgefühl und zur Ganslhaut. Neben dem Glückshormon wird dabei auch Dopamin ausgeschüttet, jener Stoff, von dem Parkinsonkranke zu wenig haben. Sie bekommen Medikamente, die Dopamin imitieren.

Unter welchen Bedingungen löst Musik negative Gefühle aus?

Entweder, wenn sie besonders laut oder leise ist, oder, wenn man Musik hören muss, die man nicht mag. Disharmonische Musik reguliert im Hirn jene Regionen, die für negative Gedanken und Gefühle zuständig sind. Leider gibt es das grässliche Unterfangen, Musik als Folter einzusetzen, zum Beispiel im Gefangenenlager Guantanamo. Dabei wird der Gefolterte Tag ein Tag aus mit lauter Musik, in die man disharmonische hineinstört, beschallt.

Wie klingt Ihre Zukunftsmusik in der Musikmedizin?

Meine Vision ist, dass Musik als nicht medikamentöse Methode ernst genommen und eingesetzt wird – im Spital und zu Hause. Der Arzt soll nicht nur ein Medikament verschreiben, sondern auch Musik. Immerhin belegen viele Studien deren Wirkung. Und Ärzte berichten von guten Erfolgen.

ZUR PERSON

Günther Bernatzky (61) ist Präsident der Österreichischen Schmerzgesellschaft (ÖSG) und Leiter des Instituts für Schmerzforschung an der naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Salzburg. Mit dem Einsatz von Musik in der Medizin beschäftigt sich der Biologe schon seit rund 20 Jahren. Zuletzt publizierte er gemeinsam mit dem Oldenburger Musikwissenschaftler Gunter Kreutz einen Sammelband mit einem Überblick und Einsatzgebieten der Musikmedizin: „Musik und Medizin. Chancen für Therapie, Prävention und Bildung“ (Springer Verlag, 442 Seiten, 59,99 Euro).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.02.2016)

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