Wie Viren bei der Abwehr anderer Viren helfen

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Das Immunsystem hat frühere Aggressoren domestiziert und in Gehilfen verwandelt.

Als zur Jahrtausendwende das Humangenom sequenziert war, war die Überraschung groß: Acht Prozent unseres Genoms sind Viren, das ist viel, fast sechsmal so viel wie das, worauf die Genetik sich lang konzentriert hatte: Gene, DNA-Sequenzen, die für die Produktion von Proteinen sorgen. Der Rest sei Müll, vermutete man lang, aber die Evolution schleppt keinen Müll mit, und bald fanden sich denn auch Funktionen für die Viren in unserem Genom.

Endogene Retroviren

Die lassen sich, wie alle Viren, von Zellen der Wirte vermehren, aber sie dringen sie nicht nur in Zellen ein, sondern in deren Kerne, dort setzen sie sich in die DNA, als Retroviren, HIV gehört dazu, es lässt sich vermehren und tötet den Wirt. Andere Retroviren – endogene, ERVs – tun den Wirten nichts, sie integrieren sich ins Genom und können dadurch gefährlich werden, dass sie dort herumspringen.

Deshalb versucht das Genom, die ERVs bzw. ihre Gene stillzulegen – oder sie gar zu domestizieren, von Gefahren in Gehilfen zu verwandeln. Das gelang etwa bei dem Organ, das uns zunächst alles gibt und das wir bei der Geburt ablegen, der Plazenta, sie entstand mit der Hilfe von ERVs. Auch im Gehirn spielen sie mit, und im Immunsystem, darauf deutete bisher schon manches, nun hat Cédric Feschotte (University of Utah) eine zentrale Funktion gefunden: Wenn Spezialisten der Immunabwehr Eindringlinge bemerken, Viren etwa, alarmieren sie mit Interferonen. Diese Signale werden von ERVs aufgenommen und verstärkt, das erst bringt die Abwehr in Schwung (Science 3. 3.). „Es ist kein Zufall, dass das Immunsystem diese Viren rekrutiert hat“, vermutet Koautor Nels Elde: Was den ERVs früher bei ihren Attacken geholfen hat, lässt sich nun zur Abwehr nützen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.01.2016)

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