Schmerzen durch Schmerzmittel

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Wiener Ärzte klären Phänomen des „paradoxen Schmerzes“.

Opiate sind die wirksamsten Schmerzmittel, die die Medizin kennt, deshalb werden sie im Operationssaal eingesetzt. „Dann ist die letzte Naht gemacht, der Chirurg ist zufrieden, der Anästhesist hört mit den Opiaten auf – und beim Aufwachen haben die Patienten oft abnormal verstärkte Schmerzen.“ So schildert Jürgen Sandkühler, Leiter des Zentrums für Hirnforschung der MedUni Wien, der „Presse“ den „paradoxen Schmerz“. Der entsteht durch das Schmerzmittel selbst bzw. durch sein Absetzen, das gilt auch dann, wenn Opiate als Drogen konsumiert bzw. eben nicht mehr konsumiert werden: Der Entzug bringt Schmerzen am ganzen Körper.

Dass es so ist, weiß die Medizin. Aber in die molekularen Details ist erst jetzt Sandkühler mit seiner Gruppe – Ruth Drdla, Matthias Gassner, Ewald Gingl – vorgestoßen: Opiate bzw. ihr abruptes Absetzen sorgen dafür, dass Schmerzsignale falsch verarbeitet werden. Schmerzen werden von Sinnesfühlern wahrgenommen und an Nervenzellen im Rückenmark gemeldet, dann laufen die Signale ins Gehirn. Aber schon bei der ersten Station, der Entgegennahme der Signale durch Nervenzellen im Rückenmark, greifen Opiate nicht nur schmerzdämpfend ein, sondern potenziell auch schmerzsteigernd.

Einlasstor für Kalziumionen

Vermutlich so: Nervenzellen werden für Schmerzsignale dadurch empfindlich, dass Kalziumionen in sie einströmen, durch besondere Kanäle (NMDA). Die sind für gewöhnlich geschlossen. Geöffnet werden sie – bei Schmerz – u.a. durch eine Änderung des Membranpotenzials, eine Depolarisierung: Die Spannungsdifferenz zwischen innen und außen muss weniger negativ werden.

Opiate wirken dem entgegen, sie depolarisieren nicht, sie hyperpolarisieren, so dämpfen sie Schmerz. Aber sie tun zugleich etwas ganz anderes: Sie öffnen die NMDA-Kanäle (es kommt wegen des Membranpotenzials aber kein Kalzium hinein). Werden sie abgesetzt, ist der Weg für das Kalzium und den Schmerz frei. Das ist zumindest die Hypothese der Forscher, sie muss in Folgestudien genauer geklärt werden.

Die Praxis im OP hingegen kann sofort von den Befunden profitieren: „Man muss nur die Opiatgabe nicht abrupt beenden, sondern langsam ausschleichen lassen. Das erlaubt der Zelle, sich an ihren Normalzustand anzupassen“, erklärt Sandkühler. Als zweite Möglichkeit bieten sich Medikamente an, die für andere Verwendungen schon zugelassen und im Gebrauch sind und die die NMDA-Kanäle blockieren (Science, 325, S.207). jl

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.07.2009)

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