Bei Pflanzensex genauer hinsehen

Mohn, Klatschmohn, Mohnbl�te, Blume - Poppy
Mohn, Klatschmohn, Mohnbl�te, Blume - Poppy(c) August Forkel / ChromOrange / picturedesk.com (August Forkel)
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Forscher wollen die sexuelle Fortpflanzung von Pflanzen besser verstehen, um Erträge von Nutzpflanzen zu steigern. Nicht nur für Nahrung, auch für Industrie und Energiegewinnung brauchen wir Samen und Blütenpflanzen.

Wer durch Gärten und Wiesen spaziert, fragt sich vielleicht: Warum blühen Pflanzen im Frühling? Weil bei warmen Temperaturen das Wachstum losgeht, das im Winter ruht, um Pflanzenteile vor Frost zu schützen. Außerdem nützen Blüten im Winter kaum, denn die Bestäuber, meist Insekten, beginnen erst im Frühling wieder zu fliegen.

„Blüten haben sich entwickelt, um die Sexualorgane der Pflanzen zu schützen“, erklärt Frédéric Berger vom Gregor-Mendel-Institut (GMI), einem der weltgrößten Institute für Grundlagenforschung an Pflanzen, das die Österreichische Akademie der Wissenschaften, ÖAW, in Wien betreibt.

Bestäuber anlocken

Ursprünglich sind Blüten aus normalen Blättern entstanden: Ihre Spezialisierungen mit so vielfältigen Formen und Farben sind nicht nur dem Schutz der Ei- und Samenzellen (Keimzellen) geschuldet. Sie sollen auch die Lebewesen anlocken, die den Pollen, in dem die Samenzellen lagern, von einer Blüte zur Eizelle im Stempel der nächsten Blüte transportieren.

„Als Pflanzen vor etwa 470 Millionen Jahren das Land eroberten, blieb die Befruchtung aquatisch und war auf wässrige Umgebung angewiesen: Samenzellen der primitiven Pflanzen wie Moose und Farne haben heute noch ein Schwänzchen und schwimmen aktiv zur Eizelle“, so Berger. Also ähnlich wie die Befruchtung bei Säugetieren, bei denen sich die Samenzellen auch in einer „aquatischen Umgebung“ zur Eizelle bewegen.

Unbewegliche Samenzellen

Doch etwa 300 Millionen Jahre später entstanden Blütenpflanzen, im Fachterminus Bedecktsamer (Angiospermen) genannt. „Blütenpflanzen sind enorm wichtig für uns: Jedes Nahrungsmittel stammt von Blütenpflanzen oder Samenpflanzen – oder wird zumindest damit gefüttert. Auch für Industrie und Energiegewinnung nutzen wir diese Pflanzen“, sagt Berger.

Die Samenzellen der Blütenpflanzen sind einzigartig, denn sie können sich nicht bewegen. Sie lassen sich vielmehr zur Eizelle transportieren, teils vom Wind, teils von Tieren. Gelangt der Pollen in die Blüte, wächst ein dicker Pollenschlauch ins weibliche Gewebe, durch den die Samenzellen zur Eizelle gelangen.

Blüte und Pollenkorn schützen also die sensiblen Keimzellen bei dieser nicht-aquatischen Befruchtung vor Austrocknung und anderen Schäden. „Es wird weltweit daran geforscht, wie die Befruchtung der Blütenpflanzen abläuft, welche Gene und Moleküle involviert sind“, so Berger. Denn durch die steigende Weltbevölkerung und all ihren Folgen für das Ökosystem brauchen wir neue Möglichkeiten, um die Produktivität von Nutzpflanzen zu erhöhen. Versteht man den „Pflanzensex“ im Detail, kann man die Samenbildung und damit den Ertrag vielleicht gezielt steigern.

Dies ist auch Ziel des EU-Projekts ERA-Caps, das Grundlagenforschung rund um sexuelle Fortpflanzung der Pflanzen fördert. 2,6 Millionen Euro stehen nun Forschern aus Portugal, Deutschland, England, den USA und Österreich zur Verfügung, um die Entwicklung von Keimzellen bei Nutzpflanzen wie Tomaten, Mais und Reis zu untersuchen. Bergers Team am GMI ist der heimische Partner in diesem großen Projekt.

„Wir wollen uns nicht nur moderne Blütenpflanzen ansehen, sondern ganz ursprüngliche Pflanzen wie Moose“, sagt der gebürtige Franzose. Wenn man die Gene und die Genregulierung der primitiven Pflanzen mit den höher entwickelten Nutzpflanzen vergleicht, wird klar, welche Mechanismen seit Jahrmillionen konserviert sind und welche die Blütenpflanzen quasi neu erfunden haben.

Was schützt vor Umweltstress?

Im Labor in der Dr.-Bohrgasse in Wien-Landstraße analysierten die Forscher dazu die genetisch am besten untersuchte Blütenpflanze der Welt, die Ackerschmalwand, Arabidopsis, und ein sehr gut untersuchtes Lebermoos, Marchantia. „Erste Ergebnisse deuten darauf hin, dass die grundlegendsten Mechanismen, wie Ei- und Samenzellen in Pflanzen reifen, seit der Entstehung der Landpflanzen kaum verändert wurden.“ Das internationale Konsortium will aus diesen Ergebnissen herausfiltern, welche Mechanismen essenziell sind, wenn man die Fruchtbarkeit von Nutzpflanzen erhöhen will.

Eine ganz besondere Pflanze, die nur in Neukaledonien, einem Inselstaat im Südpazifik, vorkommt, wird von den Kollegen der Uni Regensburg durchleuchtet: Amborella ist ein Relikt aus der Urzeit, ihre Gene haben sich seit der Entstehung der Blütenpflanzen kaum verändert. Auch hier wird der Vergleich zeigen, welche Gene wichtig sind, um Pflanzen und ihre Sexualorgane vor Hitze, Trockenheit und anderem Umweltstress zu schützen.

LEXIKON

Sexuelle Fortpflanzung heißt auch bei Pflanzen die Vermehrung durch die Vereinigung von Ei- und Samenzellen, die Keimzellen oder Gameten genannt werden. Eizellen sitzen bei Blütenpflanzen im untersten Teil des Stempels im Fruchtknoten. Samenzellen lagern in Pollenkörnern. Der Vorteil von sexueller Vermehrung ist, dass unterschiedliche Genome neu vermischt werden, was die genetische Vielfalt erhöht.

Vegetative Fortpflanzung läuft ohne Sex ab: Setzlinge, Brutknollen und Triebe sind genetische Kopien ihrer „Mutter“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.03.2016)

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