Medizintechnik: Auf den Zahn gefilmt

Kind beim Zahnarzt
Kind beim Zahnarzt(c) www.bilderbox.com (BilderBox.com)
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Ein Dentalscanner ersetzt den Silikonabdruck. Und Zahnersatz kommt direkt aus dem 3-D-Drucker. So könnte künftig ein Besuch in der Zahnarztpraxis aussehen. Die Technologie dazu stammt auch aus Österreich.

Wer heute einen Zahnersatz braucht, hat zuerst einmal den Mund voll: mit einer Silikonmasse, mit der der Zahnarzt einen Abdruck macht. Die so gewonnene Form funktioniert wie ein Negativ. Mit Gips aufgefüllt, ergibt sie einen Abdruck der Zähne. Dieser kommt in den Zahnscanner, ein elektronisches Modell entsteht. Das ist vielen lästig, jedenfalls kostet es Zeit. Außerdem dehnt sich die Masse – je nach Material – geringfügig aus oder zieht sich zusammen. Dadurch ist der Abdruck nicht zu 100 Prozent exakt.

Das soll sich ändern. Die klinischen Tests sind abgeschlossen. Mit Mai bringt der japanische Konzern GC den kleinsten Dentalscanner der Welt auf den europäischen Markt – kaum größer als eine Zahnbürste. Der Zahnarzt fährt damit über die Zähne, die Daten gehen in Echtzeit, also live, an einen Rechner. Und diese formt sofort ein genaues Bild des Gebisses, das der Zahnarzt auf dem Monitor betrachtet. Und das er schnell und einfach an ein beliebiges Dentallabor mailen kann.

Möglich ist das mit Technologie aus Österreich, denn der neue Dentalscanner ist das Resultat der Zusammenarbeit eines Kärntner Dentallabors und des Austrian Institute of Technology (AIT). Die Zahntechniker kamen vor rund sechs Jahren auf die Forscher zu und wollten den langen Weg vom Abdruck zum fertigen Modell der Zähne mit 3-D-Technologie deutlich verkürzen.

Vermessung des Munds

Entwicklungen der Forscher des AIT waren bereits Mitte der 1990er-Jahre an Bord, als ein autonomes Fahrzeug erstmals testweise durch die Wüste Nevadas, USA, fuhr. Die Wiener entwickelten eine Software, die Kameras nutzt, um 3-D-Bilder zu erzeugen. Auch die Höhe von Wolken können die Forscher so bestimmen. „Unsere Systeme lassen sich sowohl für große als auch für kleine Dimensionen einsetzen“, sagt Manfred Gruber vom Geschäftsfeld Safe and Autonomous Systems des AIT. Was lag also näher als die 3-D-Technologie zu nutzen, um Zähne zu vermessen?

Für den Einsatz in der Zahnmedizin musste die Technologie freilich ordentlich schrumpfen. Das Gerät sollte einen Durchmesser von 1,5 bis zwei Zentimeter haben und möglichst wenig wiegen. Für die Forscher noch kein Auftrag: Auch für Handys müsse alles immer kleiner sein, so Gruber. Damit die Kosten überschaubar bleiben, hat man handelsübliche Produkte. genutzt. Und passte die Software in enger Abstimmung mit dem Dentallabor an die Bedürfnisse einer Zahnarztpraxis an. Scannt der Zahnarzt nun ein Kiefer, entstehen dabei sehr viele Einzelaufnahmen. Daraus formt die Software viele Teilmodelle und verbindet diese schließlich zu einem Gesamtmodell.

Puder auf den Zähnen

Wenn etwas funktioniert, klingt es im Nachhinein oft einfach. Warum ist der Fortschritt nicht schon früher gelungen? Schließlich stammen die ersten Techniken für einen digitalen Abdruck aus den frühen 1990er-Jahren. „Größe und Gewicht waren ein Problem“, erklärt Gruber. Die ersten Geräte waren für einen breiten Einsatz außerdem zu teuer. Eine Schwierigkeit für die Optik lag darin, den glänzenden Zahnschmelz gut abzubilden. „Die Zähne mussten vorbehandelt, mitunter sogar eingepudert werden“, erzählt der Physiker. Hier hilft ein spezielles, am AIT entwickeltes Beleuchtungssystem. Zwei sehr kleine Weitwinkelobjektive erzeugen – stereo – hochauflösende Bilder der Zähne. Details verrät Gruber aber keine: Industriegeheimnis.

Die Innovation made in Austria wurde mittlerweile mehrfach ausgezeichnet. Und auch das Dentallabor hat von der Forschung mit Biss profitiert. Der Projektpartner gründete 2010 die Firma A-tron 3D, diese wurde vom japanische Konzern GC gekauft. Die Weiterentwicklung des Scanners bleibt aber auch weiter in Österreich, wo schon bald heimische Zahnärzte und Patienten davon profitieren sollen.

Zahnersatz aus dem Drucker

Doch damit nicht genug. Daran, dass der Zahnersatz künftig direkt aus einem 3-D-Drucker kommt, arbeitet Jürgen Stampfl an der TU Wien am 2012 gegründeten Christian-Doppler(CD)-Labor für „Photopolymere in der digitalen und restaurativen Zahnheilkunde“. Der Werkstoffwissenschaftler sucht in seiner Arbeit (Grundlagenforschung in Kooperation mit dem Industriepartner Ivoclar Vivadent) nach Materialien und Technologien, die sich für die Zahnmedizin eignen.

Der Fokus der Forschungsgruppe um Chemiker Robert Liska wiederum liegt auf Materialien, die durch Licht ausgehärtet werden. Im CD-Labor will er mit seinem Team Methoden entwickeln, die verhindern, dass Kunststoffzahnfüllung beim Härten schrumpft und sich vom Zahn ablöst.

Erste Erfolge sind bereits gelungen. Eine neu entwickelte Germanium-Verbindung härtet Kunststoff-Füllungen deutlich schneller aus als bisher. Gemeinsam mit Forschern der TU Graz klärte man den physikalisch-chemischen Mechanismus auf. Das neue Produkt spart nicht nur dem Zahnarzt Zeit. Auch der Patient kann die Praxis so schneller wieder verlassen. [ AIT ]

LEXIKON

3-D-Visualisierung kommt überall zum Einsatz, wo eine dreidimensionale Darstellung eine bessere Vorstellung von Objekten ermöglicht: also etwa in der Architektur, im Automobilbau oder auch in der Medizin. Wiener Forscher haben gemeinsam mit einem Kärntner Dentallabor den kleinsten Dentalscanner der Welt entwickelt. Das 3-D-Modell entsteht aus unzähligen Einzelaufnahmen, die zusammengefügt werden. Damit die Technologie Einzug in die Zahnmedizin halten kann, musste die Hardware deutlich verkleinert werden. Der Scanner kommt im Mai 2016 auf den europäischen Markt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.03.2016)

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