Schnüffeln für die Wissenschaft

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Themenbild(c) FABRY Clemens
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Gesundheit. Rund fünf Prozent der Bevölkerung haben den Geruchssinn verloren. Doch riechen lässt sich wieder lernen. Was dabei im Gehirn passiert, untersuchten Forscher der Uni Graz.

Wer auf der Frühlingswiese den Duft der Blumen kräftig einsaugt, tut das, was andere als Therapie machen. Aus kleinen Fläschchen duftet es nach Vanille, Orange, Zimt oder auch Kaffee. Die Patienten atmen den Geruch im Labor intensiv durch die Nase ein. Das sogenannte Sniffing wiederholen sie aber auch zu Hause mehrmals am Tag, über mehrere Monate.

Erlaubt ist alles, was diese Menschen besonders mochten, als sie noch riechen konnten. Etwa fünf Prozent der Bevölkerung leiden an Anosmie, dem völligen Verlust der sensorischen Geruchswahrnehmung. Und immerhin 15 Prozent an einem teilweise eingeschränkten Riechvermögen, der sogenannten Hyposmie.

Das gezielte Riechtraining soll die Rezeptoren in der Nase reizen und damit buchstäblich reanimieren. Forscher der Uni Graz wollen verstehen, was dabei im Gehirn passiert. „Verliert jemand einen Arm, reagiert das Gehirn flexibel. Der für die Bewegung zuständige Bereich macht einfach etwas anderes. Das ist die sogenannte Neuroplastizität“, sagt Veronika Schöpf vom Institut für Psychologie. Was aber geschieht, wenn das Riechorgan ausfällt? Hier soll mehr Wissen helfen, Therapien zu verbessern.

Das Gehirn beobachten

Um zu beobachten, was dabei im Gehirn passiert, nutzt Schöpf die funktionelle Magnetresonanztomografie: ein bildgebendes Verfahren, das zeigt, welche Hirnareale gerade aktiv sind. Die technische Mathematikerin hat ihre Dissertation über funktionelle Bildgebung an der Uni München verfasst. Sie kam durch Zufall zu diesem Thema. „Hätte ich am DLR (Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt, Anm.) eine Stelle bekommen, würde ich heute vielleicht Parabelflüge untersuchen“, sagt sie.

Doch längst sind ihr die Patienten ein Anliegen. „Für diese ist es oft ein langer Leidensweg bis zu einer Diagnose. Meist gehen sie zum Arzt, weil sie sich niedergeschlagen fühlen oder stark zunehmen. Dass sie ihren Geruchssinn verloren haben, merken sie oft gar nicht“, sagt sie. Und auch für die Mediziner sei das Krankheitsbild schwer zu erkennen. „Dass jemand ein eingeschränktes Geruchsvermögen hat, ist weit schwerer festzustellen, als dass jemand eine Brille braucht.“

Was ist nun schuld daran, dass jemand nichts mehr riecht? „Die Ursachen unterscheiden sich, aber die Symptome sind gleich“, sagt Schöpf. Bei dem einen beginnt es mit einer Infektion oder einem einfachen Schnupfen, bei dem anderen mit einem Schädel-Hirn-Trauma: Werden die Nervenbahnen etwa bei einem Unfall durchtrennt, geht der Geruchssinn abrupt verloren.

Jedenfalls kann Anosmie das tägliche Leben stark beeinträchtigen: Betroffene riechen nicht, wenn etwas anbrennt oder in der Folge ein Feuer ausbricht. Manche seien sogar so verunsichert, dass sie in soziale Isolation geraten. Sie wissen etwa nicht: Wirkt mein Deo noch? – und ziehen sich aus Scham immer mehr zurück. Den Schweinsbraten oder das Lieblingsessen nicht mehr richtig wahrzunehmen ist also ein vergleichsweise harmloses Szenario. Aber auch das quält viele.

Dabei hat der Geruchssinn auf den ersten Blick nichts mit dem Geschmackssinn zu tun. „Auf der Zunge schmecken wir nur süß, sauer, salzig, bitter und umami – das ist ein Zungenreiz, der auf Eiweißstoffe hinweist. Was wir als Aroma wahrnehmen, passiert vielmehr in der Mund- und Nasenhöhle, die verbunden sind“, so Schöpf. „Wir riechen quasi von hinten nach oben.“

Dort sorgen 350 verschiedene Rezeptortypen für ein regelrechtes Geruchskonzert, das ermöglicht, rund 10.000 Gerüche zu unterscheiden. So entsteht das Geschmackserlebnis, das Anosmiker vermissen. Aber Anosmie beeinträchtigt nicht nur die Lebensqualität der Betroffenen, sie kann auch Anzeichen einer ernsthaften Erkrankung sein: Anosmie gilt als Vorbote von Alzheimer oder Parkinson, wenn auch in seltenen Fällen.

Auch Mikrobiom verstehen

Schöpfs Untersuchungen zeigten jedenfalls, dass die betroffenen Hirnareale nach dem Riechtraining wieder arbeiten. Man dürfe den Erfolg aber nicht überbewerten, die Prozesse im Gehirn seien komplex. „Wir stehen erst am Anfang“, sagt die Forscherin. Und außerdem müsse man auch das Mikrobiom, also die Bakterienbesiedelung von Darm, Nase und Mund, noch besser verstehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.03.2016)

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