Als sich die Pole des Mondes auf Wanderschaft begaben

(c) APA/AFP/PASCAL GUYOT
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Die Verteilung des Eises auf dem Nachbarn zeigt, dass sich seine Drehachse vor langer Zeit verschoben hat, um sechs Grad, vermutlich durch vulkanische Aktivitäten. Wie das Eis sich an seinem neuen Ort halten konnte, ist ein offenes Rätsel.

Der Mond hat viele Mysterien, von seiner Entstehung bis zu seiner Topografie. Nur eines ist sicher, er ging nie so stille, wie das Poetenohr es vernahm, im Gegenteil: Seine Geburt war höchst gewaltsam. Zumindest wenn es stimmt, dass er bzw. sein Material vor 4,5 Milliarden Jahren von einem marsgroßen Himmelskörper – Theia – aus der Erde geschlagen wurde. Die Hypothese gilt seit einigen Jahren als die wahrscheinlichste, sie hat aber Probleme mit der Häufigkeit einiger Elemente bzw. Isotopen auf dem Mond, die nicht zu irdischem Material passen.

Dann gibt es noch seine abgewandte Seite, eine dunkle hat er nicht, nur eine, die wir von der Erde aus nie sehen. Als eine Kamera – die der russischen Lunik3 – 1959 erste Bilder schickte, wurden die Augen groß: Hinten schaut der Mond völlig anders aus, dort ragen Gebirge. Was wir mit bloßem Auge sehen, ist hingegen so flach, dass man es lang für Maria hielt, echte Meere. In Wahrheit sind sie aus Basalt, erstarrtem Magma.

Wo kommen die Gebirge auf der abgewandten Seite her? Auch hier gibt es nur eine Hilfskonstruktion: Eric Asphaug (Arizona State University) vermutet, dass bei der Kollision nicht ein Mond aus der Erde herausgeschlagen worden ist, sondern dass es zwei waren, ein größerer und ein kleinerer. Der habe sich dann dem größeren auf der abgewandten Seite angelagert.

Wie auch immer, eines konnte es nicht geben, weder vorn noch hinten: Wasser bzw. Eis. Bei der Kollision entschwand alles Flüchtige ins All. Aber der Mond hat Wassereis, allerorten. Woher? Entweder aus dem All – im „late heavy bombardement“ vor 4,1 Milliarden Jahren waren viele Asteroiden unterwegs – oder von der Sonne: Die Materie, die sie ständig abstrahlt (Sonnenwind), besteht vor allem aus Wasserstoffionen (Protonen), sie fahren in den Mondstaub. Der enthält Sauerstoff, mit ihm verbindet sich der Wasserstoff zu Wasser und Hydroxyl (OH).

Die Pole sind nicht, wo sie sein sollten

Der Mond hat also Wassereis, überall, aber es ist nicht gleichmäßig verteilt. Die dicksten Lager sind an den Polen, in tiefen Kratern, in die nie ein Sonnenstrahl fällt, andernorts heizt die Sonne die Oberfläche auf 200 Grad. auf Aber seit einiger Zeit bringen die Pole bzw. ihr Eis ein neues Problem: Sie sind nicht dort, wo sie sein sollten, nämlich wirklich an den Polen. Sie liegen in einigem Abstand zu ihnen, im Norden wie im Süden im gleichen, aber in der anderen Richtung.

Das lässt sich nur so erklären, dass sich die Drehachse des Mondes verschoben hat – um sechs Grad – und damit auch die Pole in Bewegung setzte („true polar wander“). Das Phänomen kennt man vom Jupitermond Europa, man kennt es auch von der Erde: Wenn sie plötzlich irgendwo stark Masse gewinnt – etwa durch Vulkanismus –, wird die durch die Fliehkräfte zum Äquator hingezogen. Und umgekehrt: Der Äquator wird zu ihr gezogen und mit ihm wandert die Erdachse.

So erklärt Matthew Siegler (Tuczon) auch das Polwandern auf dem Mond, mit einem riesigen Vulkan (Nature 23. 3.). Aber das bringt eben wieder ein Problem: Seit drei Milliarden Jahren gibt es kaum Vulkanismus auf dem Mond, spätestens damals müsste das Polwandern stattgefunden haben. Aber mit ihm geriet das Eis ins Sonnenlicht, es müsste längst geschmolzen sein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.03.2016)

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