Pilz: Steht nicht nur im Walde

Sie tut allerorten ihren Dienst, angewandt in Brauereien und Bäckereien, grundlegend bei Genetikern: Bierhefe, Saccharomyces cerevisiae.
Sie tut allerorten ihren Dienst, angewandt in Brauereien und Bäckereien, grundlegend bei Genetikern: Bierhefe, Saccharomyces cerevisiae. Bob Blaylock/Wikipedia
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Pilzen haben wir viel zu danken, Brot und Käse etwa, Bier und Wein. Und vielleicht sogar unsere Existenz bzw. die aller Säugetiere.

Mit Pilzen verbindet man Angenehmes meist nur bei denen auf dem Teller, und selbst dieses Vergnügen kann tödlich enden. Sonst hängen sie als Schimmel an der Wand oder schier unvertreibbar auf Haut und Nägeln, und im Körper können sie noch Ärgeres anrichten, manche sind lebensbedrohend. Aber viele sind das nicht, und die Gegenrechnung beeindruckt schon auch: Ohne Pilze gäbe es uns vielleicht gar nicht, und es würde karg auf unseren Tischen, sie decken sie mit Brot und Käse, Bier und Wein.

Vor allem einer ist aktiv beim Backen und Brauen, der Hefepilz Saccharomyces cerevisiae, er wird seit Jahrtausenden genutzt, und im 15. Jahrhundert kam eine folgenreiche Innovation, beim Bier: Bis dahin konnte man nur obergärig und bei hoher Temperatur brauen – Weißbier etwa und Ale – , nun ging es in bayrischen Kellern auch im Kühlen. Eine Hefe hatte sich eingekreuzt, sie stammte aus dem fernen Patagonien – Genanalysen zeigten es 2011 (Pnas 108, S. 14539) –, und sie ermöglichte untergärige Lagerbiere: Export, Pils etc.

Die mundeten so, dass die Bäcker in Verlegenheit kamen: Früher hatten sie ihre Hefen von Brauereien bezogen, aber durch das neue Bier wurde der Nachschub knapp. Abhilfe ersann 1847 der Wiener Industrielle Adolf Ignaz von Mautner-Markhof, er entwickelte eine Hefe, mit der die Bäcker Revolutionäres aus ihren Öfen ziehen konnten: helles Gebäck. Zuvor hatte es nur dunklen Sauerteig gegeben, nun trumpfte die Kaisersemmel auf, samt Gefolge, auch 1876 auf der Weltausstellung in Paris, dort ging die Novität als „Vienna Bread“ in die Geschichte ein.

Zu dieser Zeit tat sich auch etwas im Labor eines anderen Industriellen, dem des dänischen Bierbrauers Carlsberg: Die Hefe für das untergärige Bier wurde isoliert und kultiviert, sie hieß lange S. carlsbergiensis, wurde später umgetauft, versorgt mit ihrer Gärung aber bis heute Lagerbiere mit Alkohol und CO2 bzw. den Bläschen daraus. Und bei Carlsberg wurde nicht nur angewandt geforscht, sondern auch an den Grundlagen: Dort wurde Hefe zu einem der wichtigsten Organismen der Genetiker, sie blieb es bis heute.

So geht S. cerevisia vielerorts ihrer Arbeit nach, und wenn man Nachschub braucht, geht man in die Natur und holt neue, aus verrottenden Trauben etwa, deren Zucker mögen sie auch, nicht nur den von Malz. Und wenn die Trauben verrottet sind und es eisig wird, was machen die Hefen dann, wo finden sie Zuflucht? In Mägen, und zwar in denen der Königinnen sozialer Wespen, die überleben den Winter und füttern im Frühjahr die Brut mit dem Mageninhalt vom Herbst, darin sind auch Hefen. Das hat Ducccio Cavalieri (Trento) früher schon gezeigt. Nun hat er bemerkt, dass die Mägen auch Schmelztiegel sind: In ihnen überwintern Hefen nicht nur, in ihnen mischen sie sich (Pnas 19. 1.).


Kohlelieferanten? So kommen sie durch den Winter. Und wie tun wir es in unserer Industriegesellschaft? Die wurde auf Kohle gebaut, wir zehren von den Reserven. Angelegt wurden sie vor 345 bis 280 Millionen Jahren im Erdzeitalter der Kohle – Karbon –, gebildet wurden sie aus teilweise hoch ragenden Farnen und Bäumen, die stützten und schützten sich mit zähen Makromolekülen, vor allem Lignin.

So zäh es ist, es wird zersetzt, von Pilzen, manche machen sich sogar über lebendes Holz her. Und wie: Anno 2000 bemerkte man im US-Nationalforst Malheur – er heißt wirklich so –, flächenhaftes Baumsterben, ein näherer Blick ließ die Augen übergehen: Die Bäume wurden von Pilzen gefressen, Hallimaschen, der größte erstreckt sich über neun Quadratkilometer – unter der Erde –, er hat geschätzte 600 Tonnen Gewicht, ist das mit weitem Abstand größte Lebewesen der Erde.

Er arbeitet die Bäume klein, auch ihr Lignin. Das durfte aber nicht klein gearbeitet werden, als die Kohle entstand, sonst wäre sie nicht entstanden. Gab es damals keine Pilze? Doch, aber keine, die Lignin zersetzen konnten: Weißfäulepilze, die kamen erst 60 Millionen Jahre nach den Wäldern. In diesem Zeitfenster sah man 1991 die Lösung des Rätsels, wie Kohle entstehen konnte (Science, 336, S. 1715). Aber nun winkt Kevin Boyce (Stanford) ab: Es habe im Karbon durchaus Ligninzersetzer gegeben, und die meiste Kohle sei ohnehin aus ligninfreier Biomasse entstanden. Hinter Kohle stehe nicht Biologie, sondern Geologie, kombiniert mit dem Klima, es war extrem feucht: Damals bildete sich der Urkontinent Pangea, er türmte Gebirge auf und schnitt Klüfte ein, deren Biomasse geriet unter Wasser und verrottete zu Torf. Über dem lagerten sich Sedimente an, sie pressten ihn zusammen zu Kohle.

Diese haben wir den Pilzen bzw. ihrer Verspätung also nicht zu danken, aber vielleicht haben wir ihnen mehr zu danken, unsere Existenz? Diese Hypothese entfaltet seit Jahren Arturo Casadevall (New York), sein Ausgangspunkt war das Verschwinden der Dinosaurier vor 65 Millionen Jahren. Säugetiere gab es damals auch, sie waren zwergenhaft, aber sie überlebten den Asteroiden, wurden groß und machten sich breit. Warum? Weil sie warmes Blut hatten, das schützte vor den Attacken der Pilze, die sich auf den Kadavern des Massensterbens massenhaft vermehrten. Kaltblütige Reptilien wie Saurier hatten ihnen nichts entgegenzusetzen, und kaltblütige Amphibien wie Frösche erleiden heute ein Massensterben durch Pilze. Warmes Blut schützt, ab 30 Grad tun Pilze sich schwer, deshalb müssen wir und alle anderen Säuger sie weniger fürchten als etwa Bakterien (mBio 1 e00212-10). Ja, aber: Grassiert nicht seit Jahren in Nordamerika ein Fledermaussterben durch Pilze? Ja, das grassiert, aber: Die Tiere sterben im Winterschlaf, dann ist ihre Körpertemperatur von 40 auf sieben Grad gesunken.

Aber warum auch immer wir es in uns warm haben – wir brauchen es auch um uns warm. Früher half Kohle, der Klimawandel ruft nach Alternativen, eine ist Biomasse, aber nicht justament die, die mit Energiepflanzen Nahrungspflanzen Konkurrenz macht. Optimal wären stattdessen zähe bis holzige Abfälle, Maisstängel etc., aber die lassen sich schwer erschließen, nur mit harter Chemie und hoher Hitze. Oder mit Pilzen (Science 18. 2.): Kevin Solomon (UC Santa Barbara) hat vielversprechende entdeckt, in den Gedärmen von Ziegen und Schafen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.03.2016)

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