Suchtforschung: Spielende Ratten nehmen keine Drogen

Ratte auf einer Hand
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Bisher konnte man Suchterkrankungen weder verhindern noch effektiv behandeln. Innsbrucker Forscher zeigten nun an Ratten, dass positive soziale Erfahrungen eine Kokainsucht unterbinden können.

Die meisten Menschen nehmen tagtäglich stimulierende Substanzen ein, um ihr eigenes Gehirn ein wenig zu manipulieren: Der Kaffee in der Früh macht uns wach, ein Glas Wein entspannt am Abend. Der Gebrauch sogenannter psychoaktiver Substanzen wie Koffein, Alkohol und Nikotin sind ein Teil unserer Gesellschaft und Kultur, können aber auch zum Problem werden. Wenn aus dem Genussmittel ein Suchtmittel wird, sind oft schwere gesundheitliche, aber auch wirtschaftliche und soziale Schäden die Folge – vor allem beim Missbrauch illegaler Suchtmittel wie Kokain oder Opiaten. Wie genau es zur Sucht kommt, ist ein hochkomplexes Thema.

Nicht nur die chemische Wirkung von Substanzen auf unser Gehirn spielt eine Rolle, sondern auch soziale und gesellschaftliche Faktoren. Forscher am Department für Psychiatrie und Psychotherapie der Med-Uni Innsbruck versuchen seit einigen Jahren, anhand von Tiermodellen zu erklären, was Sucht im Gehirn von Säugetieren verändert und wie soziale Faktoren bei der Entwicklung einer Sucht Einfluss nehmen. Dabei fanden die Forscher rund um Alois Saria und Gerald Zernig bereits 2011 einen unerwarteten Effekt: Gute Gesellschaft war stärker als Kokain.

Suchtgedächtnis wird gelöscht

In ihrem Versuchsaufbau lernten Ratten, einen Ort mit Kokain zu verbinden. Die Droge ist hierbei höchst effektiv: Nach nur vier Trainingseinheiten bevorzugten die Tiere eine Kammer, in der sie Kokain erhielten, gegenüber einer Kammer, in der sie nur Salzlösung bekamen. Sie entwickelten ein starkes drogenassoziiertes Gedächtnis.

Danach durften die kokainabhängigen Tiere in der zweiten Kammer mit einer gleichrangigen Ratte spielen. Gab man ihnen nach nur vier Spielrunden erneut die Wahl, wählten sie den Raum, in dem sie den Spielpartner erwarteten. Das Suchtgedächtnis war gelöscht, es wurde durch die positive soziale Erfahrung überschrieben. Der soziale Kontakt konnte sogar einen Rückfall der Ratten hin zur drogenassoziierten Kammer, der normalerweise nach nur einmaliger erneuter Kokaingabe erreicht wird, vollständig verhindern.

Nun wollen die Forscher herausfinden, welche neurobiologischen Vorgänge für den starken Effekt der sozialen Interaktion verantwortlich sind. „Was löst die sozial gelernte Präferenz im Gehirn aus und was das Kokain? Das Wissen könnte dabei helfen, abhängige Menschen dazu zu bringen, statt durch die Droge wieder durch andere, unschädliche Dinge Genuss und Belohnung zu empfinden“, erklärt Rana El Rawas, führende Wissenschaftlerin des neuen Projekts.

Gleiche Hirnareale involviert

Erste Ergebnisse wurden Ende 2015 veröffentlicht: So verglichen die Forscher, welche Bereiche des Gehirns bei Kokain- und welche bei Spieltraining aktiviert wurden. Sie fanden, dass in beiden Fällen fast die gleichen Gehirnareale aktiviert wurden, allerdings mit kleinen Unterschieden. So wurden etwa beim sozialen Gedächtnis der prälimbische Kortex und ein Bereich des Nucleus accumbens – ein Teil des Belohnungssystems des Gehirns – aktiver als bei der Gabe von Kokain. Eine weitere Studie konnte zeigen, dass die Signalwege in diesen Gehirnarealen durch Spielen mit anderen Tieren verändert wurden: Das Protein p38 ist bei Drogenkonsum, aber auch bei durch Stress oder Angst ausgelöstem Verhalten verstärkt aktiviert.

Die Forscher fanden, dass soziale Interaktion die Menge an aktiviertem p38 im Nucleus accumbens reduziert. Sie schließen auf einen schützenden Anti-Stress-Effekt der positiven sozialen Erfahrung. „Nun wollen wir den Anti-Stress-Effekt des Spielens näher untersuchen und mehr molekulare Faktoren identifizieren, die spezifisch für soziale Belohnung sind“, plant El Rawas. Dies könnte klären, welche Vorgänge im Gehirn nötig sind, um Suchtentwicklung und Rückfall langfristig zu vermeiden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.04.2016)

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