In Österreich ist Deutschsein ein Defizit

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Erstmals zeigt eine Studie der WU Wien, wie viele Deutsche, die in Österreich arbeiten, eine anti-deutsche Grundstimmung wahrnehmen. Sie spüren, dass es für Österreicher wichtig ist, kein „Piefke“ zu sein.

"Rassist bin ich keiner. Ich hab nur was gegen Deutsche." Solche Sätze sind in Österreich salonfähig. Während es bei der Diskreditierung fremder Gruppen stets das Korrektiv der Political Correctness gibt, kann man bei Witzen gegen Deutsche mit Zustimmung rechnen, egal, aus welcher Bildungsschicht die Zuhörer kommen. „Der Aspekt des Anti-Germanismus in Österreich wurde aus der Rassismus- und Migrationsforschung bisher ausgeblendet“, sagt Thomas Köllen, der aus Köln stammt und 2001 nach Wien zog. Seit 2004 ist er in der Diversitätsforschung tätig, am Institut für Gender und Diversity der WU Wien. Auch durch seine persönliche Erfahrung mit Ressentiments war er neugierig, wie Deutsche in Österreich den Alltag erleben. Vor allem den Arbeitsalltag.

„Denn die meisten, die ich befragt habe, sind wegen der Arbeit nach Österreich gekommen. An zweiter Stelle steht die Liebe oder Familie.“ Zudem kann man sich im Arbeitsumfeld selten aussuchen, mit wem man zu tun hat. Im privaten Bereich kann jeder selbst wählen, den Umgang mit antideutschen Gemütern zu meiden.

„Am meisten erfährt man, wenn den Leuten nicht bewusst ist, woher man kommt. Was ich an Bushaltestellen über Deutsche gehört habe, übertrifft alles, was man mir ins Gesicht sagt, wenn man weiß, dass ich Deutscher bin“, erzählt Köllen. Für seine Studie „Arbeitssituation und Arbeitsklima für Deutsche in Österreich“ befragte er online 600 Deutsche, die in Österreich arbeiten.

Daten der „Piefke Connection“

Gefunden hat er die Studienteilnehmer über die Social-Media-Plattform Xing: Er kontaktierte Mitglieder der Gruppe „Piefke Connection“, die in fast jedem österreichischen Bundesland monatlich Treffen veranstalten, und die Gruppe „Deutsche in Wien“.

„Die Deutschenfeindlichkeit am Arbeitsplatz ist ein großes Thema, das polarisiert“, sagt Köllen. Viele bestätigten, dass sie einen Druck empfinden, sich rechtfertigen zu müssen, Deutsche zu sein. 46 Prozent stimmten der Aussage (völlig bis eher) zu: „Beim Umgang mit Österreichern habe ich das Gefühl, dass sie mein Verhalten ständig daraufhin interpretieren, dass ich deutsch bin.“ 52 Prozent meinen: „Nach Österreich kommt man nicht als Deutscher, sondern man wird in Österreich erst zum Deutschen gemacht.“ Denn 86 Prozent der Befragten gaben an, der Hauptgrund für negative Erfahrungen sei weder ihr Aussehen noch ihr Bildungsstand noch ihr Geschlecht, sondern die Nationalität – identifiziert z. B. durch die deutsche Aussprache.

So sagen 30 Prozent, sie werden im Alltag mehrmals pro Monat bis mehrmals im Jahr „mit weniger Respekt als andere Menschen behandelt“. Nur 34 Prozent antworteten auf diese Frage mit „Nie.“

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40 Prozent gaben an, nie im Alltag beschimpft oder beleidigt zu werden, ein Prozent sagt, das passiere täglich. 29 Prozent werden einmal pro Woche bis mehrmals im Jahr beleidigt.

Köllen führte die Online-Befragung 2015 auch mit in der Schweiz lebenden Deutschen durch: „Der Wohlfühlfaktor war geringer als in Österreich, vor allem bei Deutschen, die noch nicht lang in der Schweiz lebten.“ Überraschend war, dass Deutsche, je länger sie in der Schweiz leben, ein immer positiveres Gefühl entwickeln, während in Österreich immer negativere Emotionen aufkommen, je länger man da ist. „Aus Salzburg kamen noch die positivsten Werte des Wohlfühlfaktors. Es gibt ein Ost-West-Gefälle. Doch ich brauchte noch mehr Daten aus Vorarlberg.“

Woher stammt die mehr oder weniger versteckte Feindlichkeit? Wieso kann man über Deutsche öffentlich abwertendere Witze machen als gegen andere Nationalitäten? „Antideutsche Ressentiments stecken emotional tief in Österreichern drin“, sagt Köllen. Die Forschung verortet die Basis dafür nach 1945, als die Geschichtschreibung v. a. der ÖVP und KPÖ Österreich als ein von Deutschland völlig verschiedenes Land entwarf.

Selbstbild der Österreicher

„Der Nationalsozialismus wurde externalisiert und an die deutsche Geschichte überantwortet“, schreibt etwa der österreichische Historiker Ernst Hanisch in einer Studie 2005. Später verbreitete auch die SPÖ das Selbstbild der Österreicher, das alles Schlechte auf die Deutschen projizierte, um selbst als Opfer dazustehen. „Seither gab es nie einen Diskurs in Medien oder Politik, der diesem Anti-Germanismus etwas entgegengesetzt hätte“, so Köllen.

Er spricht auch das Thema an, dass deutsche Studierende den Einheimischen in Österreich Studienplätze „wegnehmen“ und zum Arbeiten zurück nach Deutschland gehen. „Keiner fragt, was der Grund dafür ist, vielleicht ist es ja die Stimmung in Österreich.“

Lexikon

Deutsche sind seit 2007 die größte Ausländergruppe in Österreich. Seit 2002 hat sich die Zahl der in Österreich lebenden Deutschen auf 170.457 mehr als verdoppelt. Umgekehrt lebten 2015 179.772 Österreicher in Deutschland.

Für viele Österreicher ist das Nicht-Deutsch-Sein ein zentrales Element ihrer nationalen Identität. Oder wie es der deutsche Autor Hubertus Godeysen ausdrückt: Österreicher haben das stolze Bewusstsein, keine Piefke zu sein.

Die Studie auf: http://epub.wu.ac.at/4967

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.04.2016)

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