Linguist: „Man soll das Deutsche behutsam verteidigen“

Berlin, Deutschland, Besucher im Mauerparks in Berlin-Prenzlauer Berg
Berlin, Deutschland, Besucher im Mauerparks in Berlin-Prenzlauer Berg(c) Caro / picturedesk.com (Caro)
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Schwindet Deutsch? Linguist Ulrich Ammon über die Auswirkung der Migrantensprachen, einen indischen Deutsch-Boom und den wirtschaftlichen Wert der Sprachverbreitung.

Die Presse: Sie sind, kann man sagen, DER Experte für die Stellung der deutschen Sprache in der Welt. Wie geht es dem Deutschen, schwindet es, wie viele befürchten?

Ulrich Ammon: Es ist seit Langem in einer schwierigen Lage, neu ist, dass man sich dessen bewusst ist. Am stärksten war die deutsche Sprache vor dem Ersten Weltkrieg, sie war eine der international wichtigsten, und es gab mindestens so viele wissenschaftliche Publikationen darin wie auf Englisch und Französisch. Dann kamen Deutschlands Kriegsniederlage, die Zerschlagung der Donaumonarchie, später die NS-Katastrophe und die Vertreibung der Spitzenwissenschaftler aus Deutschland.   Der Prestigeverlust hat sich aber nicht so schnell bemerkbar gemacht, weil die älteren Menschen, die Deutsch gelernt hatten, es weiter sprechen wollten. Erst als diese Generationen in den 70er und 80er Jahren ausgestorben sind, wurde die Veränderung immer sichtbarer. Vor allem aber war früher das Bewusstsein nicht da, dass die Kenntnis des Deutschen in der Welt für die Länder, in denen es Muttersprache ist, von großer Bedeutung ist, auch wirtschaftlich. Früher hat man hat sich drauf verlassen, dass im Ausland Deutsch gelernt wird, und der deutsche Bundestag zerbrach sich den Kopf, wie man den Zustrom ausländischer Studierenden abbremsen könnte. Heute fragt man sich, wie man ihnen großzügig entgegenkommen kann, weil zu wenige aus  hoch entwickelten Ländern zu uns kommen.

Beginnen wir in Europa - wie präsent finden Sie das Deutsche in den EU-Institutionen? Welche Arbeitssprachen dort verwendet werden, wirkt sich ja stark auf die Wahrnehmung dieser Sprachen in der Welt aus.

Dort herrscht die ziemlich absurde Situation, dass das Deutsche offiziell eine der drei Arbeitssprachen ist, dass aber de facto nur Englisch und Französisch dominieren. Und das wird von Deutschland und Österreich einfach so hingenommen. Bei Pressekonferenzen ist die Europäische Kommission nur auf Englisch und Französisch bezeichnet, weltweit entsteht so der Eindruck, man brauche im Kontakt mit der EU diese beiden Sprachen. Dabei bilden die deutschsprachigen Länder in der EU zusammengenommen mit Abstand den größten Wirtschaftsblock, und Deutschland hat, seit es die EU gibt, immer mehr bezahlt als jedes andere Land, doppelt so viel wie Frankreich. Die sprachpolitische Zurückhaltung hat auch mit der Vergangenheit zu tun und ist gut, sollte aber nicht zu weit gehen. Die anderen betreiben ihre Sprachpolitik nämlich völlig ungeniert. Großbritannien hat den Britisch Council, Frankreich hat es sogar geschafft, sämtliche osteuropäische Länder in die Frankophonie einzubeziehen, zumindest sind sie auf der offiziellen Frankophoniekarte so dargestellt ... Ein anderes Beispiel: In der EU hat man beschlossen, dass EU-Patente nur noch in drei Sprachen veröffentlicht werden. Sofort haben Spanien und Italien dagegen geklagt, auch ihre Sprachen müssten aufgenommen werden. Die machen das also ganz rabiat.

Zugleich fördert die EU mit Programmen alle Mitgliedssprachen. Wie wirkt sich das auf die Position des Deutschen aus?

Paradoxerweise verstärkt es noch das Monopol des Englischen. Je mehr nämlich alle gleichermaßen gefördert werden, auch die kleinsten, desto schwächer bleiben alle, außer Englisch. Das Sprachförderungsprogramm wurde nicht zufällig unter dem früheren Ratspräsidenten Viktor Orbán zugespitzt. Alle EU-Bürger sollten demnach eine möglichst kleine Sprache lernen. In diesen kleinen Sprachen kann man aber kaum miteinander kommunizieren. Was nützt es, wenn man Lettisch, Griechisch und Tschechisch gelernt hat und sonst nichts? Sprachen wie Deutsch oder Spanisch haben nun einmal eine viel größere Reichweite.

Wie wirkt sich die Förderung von Immigrantensprachen in Europa aus?

Sie hat gute Gründe, zugleich schwächt sie die Stellung des Deutschen im Ausland, das ist ein Faktum. Weil Immigrantensprachen etwa in Skandinavien an den Schulen gefördert wird, bleibt weniger Platz für weitere Fremdsprachen. Man lernt die eigene Muttersprache, die neue Sprache, und noch Englisch. Eine vierte Sprache hat dann kaum noch Platz, die lernen nur noch Privilegierte. In Finnland zum Beispiel haben mir Leute gesagt, dadurch, dass sie die Immigrantenkinder motivieren, ihre Herkunftssprache zu lernen, falle der Deutschunterricht immer mehr weg. Das wird zu wenig diskutiert. Das Gleiche gilt für die Förderung europäischer Minderheitensprachen wie Baskisch oder Friesisch. Überall rückt dadurch das Deutsche nach hinten.

Dafür ist Deutsch in der Türkei zweitwichtigste Fremdsprache. Gibt es sonst Gutes zu vermelden?

Vor allem in den vergangenen Jahren hat sich das Deutschlernen fast überall stabilisiert. Ein indischer Soziolinguist hat mir erzählt, dass es in letzter Zeit unvorstellbar boomt. Die Menschen hoffen, dass es ihnen wirtschaftliche Vorteile bringt, weil sie dann bei einer deutschen Firma angestellt werden können, oder dass sie in Deutschland studieren können. Frankreich ist dort durch seine hohe Arbeitslosigkeit viel weniger attraktiv. Vor ein paar Jahren hat man vergeblich versucht, mit der deutschen Blue Card indische IT-Spezialisten herzulocken, das ist nicht zuletzt an der Sprachbarriere gescheitert. Ich glaube, in zehn Jahren würde das Ergebnis anders aussehen. In China hatte eine Zeit lang das Französische Auftrieb, weil China wirtschaftliche Interessen in Afrika hatte, in den vergangenen Jahren wird dort wieder mehr Deutsch gelernt. Bis vor zwei, drei Monaten durfte auch nur eine bestimmte Anzahl an Schulen Deutsch unterrichten, diese Begrenzung ist jetzt aufgehoben worden. Der Ex-Präsident des Weltverbands der Germanisten, Zhu Jianhua, hat mir erzählt, dass viele Schulen sich entschlossen haben, jetzt Deutsch anzubieten.

Sehen Sie eine Änderung in der deutschen Politik?

Ja, Leute im Auswärtigen Amt nehmen wahr, dass man etwas verteidigen sollte, rücksichtsvoll, aber doch entschiedener als bisher. Der verstorbene deutsche Politiker Kurt Westerwelle wurde als Außenminister einmal von den Medien sehr kritisiert, weil er es auf einer Veranstaltung in Deutschland ablehnte, einem britischen Journalisten auf Englisch zu antworten. Ich glaube, heute würde das anders wahrgenommen werden. Das Bewusstsein vom Wert der eigenen Sprache ist gewachsen. Auch in der Wissenschaftspolitik. Die deutsche Hochschul-Rektorenkonferenz hat vor einiger Zeit ein Papier erarbeitet, wie man mit englischen Studenten umgehen soll, mit dem Tenor: Bei Langzeitstudiengängen sollen Deutschkenntnisse von allen ausländischen Studierenden verlangt werden. Das ist eine neue Haltung. Früher hätte man sich auch nicht zu sagen getraut, dass Flüchtlinge und Migranten Deutsch lernen müssen.

Die Sorge um das Deutsche konzentriert sich meist auf Anglizismen. Wie „gefährlich“ sind die für das Deutsche wirklich?

Wenn englische Wörter dazukommen, ist das nicht dramatisch, das kann auch dazu verhelfen, differenziert zu formulieren. Shoppen und einkaufen ist nicht dasselbe, Erdäpfel shoppe ich nicht. Nur wenn dadurch viele deutsche Wörter außer Gebrauch kommen und Deutsch unschick wirkt, wird es problematisch. Oder wenn Ausländer nach Deutschland kommen, und ihnen wird gleich auf Englisch begegnet. Britische Schüler kamen vor einiger Zeit auf Austausch an eine deutsche Schule und kamen gar nicht zum Deutschsprechen, weil die deutschen Jugendlichen nur Englisch mit ihnen geredet haben!

Was hat die kulturelle Ausstrahlung eines Landes mit Sprachausbreitung zu tun?

Da braucht man sich nur zu fragen: Warum sind amerikanische Filme, amerikanische Popmusik so verbreitet? Der Export von Kulturgütern wird durch Sprachkenntnisse im Ausland erleichtert. Ich habe als Gastprofessor in Tokyo 25 Besucher in einem Supermarkt gefragt, woher das Lied „Stille Nacht“ kommt, das gerade gespielt wurde. Sie tippten alle auf die USA. In Brasilien wurden Menschen zu Grimms Märchen befragt, die meisten glaubten, sie kämen aus England. Wenn Deutsch viel als Fremdsprache gelehrt wird, wird auch viel Literatur aus deutschsprachigen Ländern gelesen, und es gibt auch mehr, die sie übersetzen können. Auch kulturelle Werte werden so vermittelt. Dazu kommt, dass Deutschlehrer im Ausland in der Regel ein positives Bild deutschsprachiger Länder verbreiten und das Interesse daran in ihrem Land wecken wollen. Sie werben ganz automatisch. Ich habe auch beobachtet, dass der Anteil von Autos aus Deutschland in den Deutsch-Abteilungen im Ausland sehr hoch ist. In einer Abteilung hatten von zehn Dozenten acht ein deutsches Auto, anderswo waren es nur zwei.

Wie gut fördert denn Österreich die deutsche Sprache im Ausland?

Sehr gut! Das ist eine Tradition, die bis in die Zeiten Maria Theresias zurückreicht. Die Schweiz zum Beispiel ist in dieser Hinsicht kaum aktiv. Österreich schickt viele Lektoren ins Ausland und hat auch viele deutschsprachige Schulen. Vor allem in Ostmitteleuropa ist es sehr präsent, die Österreich-Institute sind dort stark verankert. Außerdem arbeiten deutsche und österreichische Förderinstitutionen jetzt besser zusammen. Früher gab es Spannungen wegen der Nichtbeachtung der Austriazismen in den Lernmaterialien, jetzt ist klar, „Karfiol“ oder „Ribisel“ sind nicht Dialekt, sondern österreichische Varianten der Standardsprache.

ZUR PERSON

Ulrich Ammon, geb. 1943, ist Experte für Soziolinguistik, lehrte in Duisburg und forscht seit Jahrzehnten zur Position des Deutschen weltweit. Sein neues, über 1000 Seiten starkes Buch dazu heißt „Die Stellung der deutschen Sprache in der Welt“ (de Gruyter 2015). [ Uni Duisburg]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.04.2016)

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