Der Donauhandel im Habsburger-Reich

Marin Goleminov
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Womit handelten die Kaufleute der Frühen Neuzeit? Wiener Historiker arbeiten die Protokolle der Maut zu Aschach auf und beleuchten so ein wenig erforschtes Kapitel österreichischer Wirtschaftsgeschichte.

Zwei Kisten mit je einem Löwen gingen am 2. August 1728 in Regensburg an Bord eines Handelsschiffs. Außerdem je eine Kiste mit einem Tiger, einem Pelikan und einem Affen. Sie gehören zu den exotischsten Gütern, die über die Donau an den Kaiserhof nach Wien gelangt sind. Auch Seide, Südfrüchte oder Olivenöl transportierten Handelsleute in diese Richtung. Umgekehrt brachte man Wein, Senf und Metallwaren wie Sensen flussaufwärts. Der Fluss galt damals als zentrale Verkehrsader, das Schiff als lohnende Alternative zu Viehkarren und Pferdefuhrwerk. Umso mehr überrascht es, dass dieses Kapitel Wirtschaftsgeschichte bisher kaum erforscht ist. Warum? „Zu dieser Zeit gab es noch keine Außenhandelsstatistiken“, sagt Historiker Peter Rauscher vom Institut für Österreichische Geschichtsforschung der Uni Wien.
Doch in Aschach, westlich von Linz, zählten die Zollbeamten alle Güter akribisch und fertigten umfassende Aufzeichnungen dazu an (siehe auch Beitrag unten). In dreijähriger Forschungsarbeit erschlossen die Wiener Wissenschaftler die wertvolle Quelle ein Stück weit. In einem ersten Schritt erfassten sie alle Daten der Jahre von 1718 bis 1737: um später auch die Auswirkungen der Wirtschaftspolitik Karl VI. beleuchten zu können.

Schokolade wichtiger als Kaffee

Aber schon die ersten Ergebnisse erstaunen: Im späten 18. Jahrhundert kommen noch sehr viele Waren aus dem norditalienischen Raum, speziell aus Venedig und Bozen. Das lässt die Historiker die Bedeutung von Hall in Tirol neu bewerten, von wo aus die Güter über den Inn in Richtung Donau verschifft wurden. Auch die Rolle von Regensburg dürfte bislang unterschätzt worden sein: „Man dachte, dessen große Zeit sei längst vorbei. Tatsächlich war es auch damals noch der Umschlagplatz für den internationalen Handel“, so Rauscher.
Auch Konflikte lassen sich in den Mautprotokollen nachvollziehen: 1718 standen die Habsburger etwa im Krieg mit den Osmanen. Auf der Donau gingen Flinten, Musketen, Kanonenkugeln und Bier für die Soldaten in Richtung Front.
Und Überraschungen gab es auch bei den Konsumgewohnheiten von Genussgütern der Zeit: So gelangte Tabak etwa bereits in den 1630er-Jahren und damit 20 Jahre früher als bisher angenommen ins Habsburger-Reich. Und: Schokolade war zunächst weit wichtiger als Kaffee oder Tee.

Donauhandel Grafik/Illustration
Donauhandel Grafik/IllustrationMarin Goleminov

Big Data in den Geschichtswissenschaften

Quelle. In der Mautstelle in Aschach wurde einst alles gezählt, wofür Zoll zu zahlen war. So entstanden aber auch enorme Datenmengen, die es für die Forscher heute aufzuarbeiten gilt. Mit einer Datenbank will man die historischen Wirtschaftsbeziehungen analysieren.

Jede Medaille hat bekanntlich zwei Seiten. Galt der Donauhandel in der Frühen Neuzeit zunächst als kaum erschlossen, liegen mit der Aufarbeitung der Aschacher Mautprotokolle nun sehr viele Daten vor. „Alles, was die Mautstelle passierte, wurde exakt erfasst“, sagt Andrea Serles, die mit Historiker Peter Rauscher im FWF-Projekt Erschließung und Analyse der Aschacher Mautregister (1718–1737) zusammenarbeitet.
„Für die Jahre von 1627 bis 1775 sind 194 Bände erhalten. Ein Jahr umfasst etwa 1000 bis 1200 Seiten“, so Serles. Insgesamt 800 Orte, aus denen Schiffe und Händler kommen, sind erfasst. Allein im Jahr 1728 passierten 5800 Schiffe und Flöße die Maut. Die Zöllner unterschieden Tausende unterschiedliche Güter. Alle Waren wurden exakt beschrieben, bei Textilien etwa die Stoffqualität in allen denkbaren Details, auch zum Dekor: War die Seide mit Silber- oder Goldfäden bestickt? Zierten Perlen den Stoff?

Historische Maßangaben

Trotz der Genauigkeit der Zöllner tauchten Fragen zu den historischen Mengenangaben auf. Denn der Umfang der Transporte ist oft nicht klar definiert. Mitunter sind nur die Verpackungen – ohne Größenordnung des Inhalts – angegeben, zum Beispiel „eine Kiste Bücher“. Wie viele Sensenblätter passen aber in ein Fass? Da liege der Spielraum zwischen 800 und 1000 Stück, so Serles.
Die Beamten der Aschacher Zollstelle vermerkten aber nicht nur Güter, sondern auch Personen. Diese hatten keinen Zoll zu zahlen, außer sie waren Juden: Sie mussten – unabhängig von ihrer gesellschaftlichen Position – eine Leibmaut entrichten. „Die Regel galt sogar für einen jüdischen Hoffinancier“, so Rauscher. Durch diese Aufzeichnungen lässt sich heute nicht nur nachvollziehen, womit gehandelt wurde, sondern auch, wer die wichtigen Kaufleute in der Region waren und wie sie agierten.

Die von den Forschern – aufgrund der großen Datenmenge in zeitlichen Etappen – angelegte Online-Datenbank soll jedenfalls die Basis bieten, Wirtschaftsbeziehungen, Konjunktur und Konsumverhalten der Frühen Neuzeit noch weiter zu analysieren.

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