An den Wurzeln des Ich: Haben auch Insekten Bewusstsein?

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Schon primitive Wirbeltiere haben eine Hirnstruktur, mit der sie ihre eigene Position im Raum simulieren. Darin sehen manche Biologen die Urform subjektiver Wahrnehmung.

Was ist Bewusstsein? Wie, wann und warum ist es entstanden? Und können wir uns vorstellen, wie es ist, bewusstlos zu existieren? In diesen Fragen treffen Biologie und Philosophie aufeinander, der US-Philosoph Thomas Nagel hat ihnen 1974 einen längst klassischen Aufsatz gewidmet, er heißt: „What is it like to be a bat?“ Der Titel lässt sich salopp auch so übersetzen: Wie fühlt es sich an, eine Fledermaus zu sein?

Eine Antwort ist für alle klar, die nicht wie weiland Descartes glauben, dass Tiere Maschinen seien: Es fühlt sich jedenfalls irgendwie an. Denn Fledermäuse haben ein Bewusstsein. Das haben nicht alle Lebewesen. „Pflanzen haben keines; es wäre eine Überraschung, wenn Quallen eines hätten“, schreiben die australischen Biologen Andrew Barron und Colin Klein in Pnas (18. 4.). „Aber es wäre seltsam darauf zu bestehen, dass das innere Leben eines Schimpansen gänzlich dunkel sei.“

Wie ist dieses „innere Leben“ im Lauf der Evolution entstanden? Was sind die simpelsten Formen dessen, was wir subjektive Erfahrung nennen? Die primitivste Form eines Ich ist wohl die Darstellung der Position des eigenen Körpers im Raum. Wer das kann, hat das erste Stück Unabhängigkeit von der Außenwelt errungen, er ist nicht mehr darauf angewiesen, nur spontan und lokal auf Reize zu reagieren wie eine Qualle, deren Nervensystem keine Zentrale hat.

Das hat das Nervensystem der Insekten – im Widerspruch zu einem lange verbreiteten Vorurteil – sehr wohl. Und eine wichtige Aufgabe ihres zentralen Komplexes (CX) ist es, räumliche Information aus unterschiedlichen Sinnesorganen zu verarbeiten und zu integrieren: zu einer „neuralen Simulation des Zustands des sich im Raum bewegenden Insekts“, wie Barron und Klein schreiben. Dieser CX sei funktionell analog zum Mittelhirn der Wirbeltiere, wo ebendiese Simulation läuft. Sogar bei Menschen mit ihrem riesigen, dominanten Großhirn sitzt die Basis des Bewusstseins, der Ich-Erfahrung, in einer älteren Hirnstruktur.

Mit der Jagd im Kambrium entstanden

Diese ältere Struktur, das Mittelhirn, ist offenbar bereits früh in der Evolution der Wirbeltiere entstanden, schon die Rundmäuler (die primitivste Klasse der Wirbeltiere) haben entsprechende Kerne im Hirn, sagen Barron und Klein. Das lege eine These darüber nahe, wann die Fähigkeit, im Hirn ein Bild seiner selbst zu erzeugen und zu orten, entstanden sei: im Kambrium, vor ungefähr 500 Millionen Jahren. Damals sind so ziemlich alle heutigen Tierstämme entstanden, auch die Gliederfüßer, zu denen die Insekten gehören. Diese „kambrische Explosion“ war gewiss brutal: Tiere begannen, andere Tiere aktiv zu jagen. Worauf diese zu fliehen lernten. Bei beidem tut ein flexibles Ortungssystem gute Dienste.

Es sei ungeklärt, ob es bei Insekten und Wirbeltieren unabhängig voneinander entstanden sei, schreiben Barron und Klein: Es gebe Hinweise darauf, dass Mittelhirn und CX nicht nur analog, sondern auch homolog sein könnten. Das würde bedeuten, dass diese Strukturen schon in gemeinsamen Vorfahren angelegt waren – und das scheint intuitiv nicht recht plausibel, bedenkt man, wie weit entfernt voneinander Gliederfüßer und Wirbeltiere im Stammbaum der Tiere sind.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.04.2016)

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