Wo ist bloß die jiddische Sprache hergekommen?

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Genanalysen deuten darauf, dass das Jiddische aus der Nordosttürkei stammt. Jüdische Händler erfanden es dort als Geheimsprache.

„Košer“, „trejbern“ und „unterkoifn“ sind Wörter einer Sprache, die nur noch wenige beherrschen: Jiddisch. Wo kommt sie her, und wo kamen ihre Sprecher her, die Ahnen der Aschkenasim, der ost- und mitteleuropäischen Juden? Es ist hoch umstritten: Entweder haben sie nahöstliche semitische Wurzeln oder mittelöstliche nicht semitische. Die erste Variante heißt „Rheinland-Hypothese“ und setzt auf ein Szenario, in dem im siebenten Jahrhundert Juden aus dem Heiligen Land flohen, als es von Moslems überrannt wurde.

Sie zogen nach Westen, bis zum Rhein. Als dort Pogrome ausbrachen, zogen sie im 15. Jahrhundert weiter, nach Osteuropa, da waren sie willkommen. Ihre Sprache, die sie in Deutschland entwickelt hatten, nahmen sie mit. Die Gegenseite, die vor allem durch Arthur Koestlers „The Thirteenth Tribe“ populär wurde, sieht den Ursprung hingegen im Kaukasus: Demnach konvertierte das Turkvolk der Chasaren im achten Jahrhundert zum Judentum, es wanderten auch Juden ein. Im 13. Jahrhundert kam der Mongolensturm, die Chasaren flüchteten nach Europa.

Bisher streiten die Forscher vor allem darüber, woher die Menschen kamen, mit Genanalysen, es geht hin und her, obgleich viel für die chasarische Herkunft spricht. Aber strittig ist auch die Herkunft der Sprache, und bei der deutet eine Analyse von Eran Elhaik (Sheffield) nun in die gleiche Richtung (Genome Biology and Evolution, 19. 4.): Er hat 367 Kinder von Aschkenasim in den USA ausfindig gemacht, bei 186 waren die Eltern Jiddisch-Sprecher, bei 181 waren sie es nicht.

Dann hat er versucht, aus den Genen die Herkunft zu lesen: Bei den Kindern von Jiddisch-Sprechern wies alles auf eine Region in der Nordosttürkei, in der viele Namen von Orten – Iskenaz, Eskenaz, Ashanaz, Aschkuz – an den der Aschkenasim anklingen: „Es ist der einzige Platz auf der Erde, an dem es diese Ortsnamen gibt“, erklärt Elhaik: „Das legt sehr nahe, dass Jiddisch dort um das erste Jahrtausend herum erfunden wurde.“

Monopol über Seidenstraßenhandel

Erfunden? Von wem und wozu? Als eine Geheimsprache, und von Händlern verschiedenster Völker der Region, auch slawischen. Die Region lag an der Seidenstraße, über die der Fernhandel mit China lief, die jüdischen Händler wollten ihn monopolisieren. Dafür entwickelten sie Jiddisch vor allem auf der Basis slawischer Sprachen, in die erst viel später und nach der Flucht in den Westen Wörter Eingang fanden, die an deutsche oder hebräische angelehnt waren (Hebräisch war zur Zeit der Erfindung des Jiddischen eine tote Sprache: Das biblische wurde nicht mehr gesprochen, das moderne noch nicht.)

Aus dem Deutschen anverwandelt wurde etwa das dort selbst nicht existierende „unterkoifn“ (bestechen); aus dem ukrainischen „terebyty“ (schälen, säubern) wurde „trejbern“, es meint: verbotene Stücke von etwas entfernen, damit es koscher wird. Und koscher selbst? In dem steckt vermutlich „kušart“. Das ist Ossetisch und bedeutet „zum Essen geschlachtetes Tier“. Das biblisch-hebräische „kašer“ meinte nur passend, es hatte keine Verbindung mit Speisen. Und es wurde eben damals nicht gesprochen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.04.2016)

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