Chemie-Nobelpreisträger Walter Kohn gestorben

Walter Kohn. 2012 erhielt er das Ehrendoktorat der Uni Wien.
Walter Kohn. 2012 erhielt er das Ehrendoktorat der Uni Wien.(c) APA (Georg Hochmuth)
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Kohn erhielt 1998 den Nobelpreis für die Entwicklung der Dichtefunktionaltheorie. 1939 musste er vor den Nazis aus Österreich fliehen.

Der aus Österreich stammende Physiker und Chemie-Nobelpreisträger Walter Kohn ist nach Angaben der University of California am Dienstag im Alter von 93 Jahren in Santa Barbara (USA) gestorben. Der 1939 mit einem Kindertransport vor den Nazis aus Österreich geflüchtete jüdische Wissenschafter war 1998 für die Entwicklung der Dichtefunktionaltheorie (DFT) mit dem Nobelpreis ausgezeichnet worden. 2012 erhielt er das Ehrendoktorat der Universität Wien.

Kohn war seit 1957 amerikanischer Staatsbürger. Er engagierte sich unter anderem für zahlreiche jüdische Projekte wie etwa die Etablierung eines Programms für jüdische Studien an der University of California und trat im Rahmen der Pugwash-Bewegung gegen die Vereinnahmung wissenschaftlicher Erkenntnisse für militärische Zwecke und Atomwaffen ein.

Vertrieben aus Österreich, erfolgreich in den USA

Mit dem Gewinn des Chemie-Nobelpreises 1998 rief Kohn Österreich auch als erster wieder prominent den Verlust wissenschaftlicher Exzellenz durch den Nationalsozialismus ins Gedächtnis. Als Jugendlicher gelang ihm 1939 die Flucht aus Wien, seine jüdischen Eltern kamen im KZ Auschwitz ums Leben.

Nur zwei Jahre nach Kohn wurde der ebenfalls aus Wien stammende und 1939 vertriebene Neurobiologe Eric Kandel mit dem Medizin-Nobelpreis geehrt. 2013 folgten dann die Nobel-Ehren für den Chemiker Martin Karplus: Er war 1938 aus Österreich geflohen. Allen drei gemeinsam ist die spätere wissenschaftliche Karriere in den USA und ein distanziertes Verhältnis zur alten Heimat, das sich erst bei späteren Besuchen verbesserte.

"Reparation ist unmöglich", hatte Kohn etwa im Dezember 2012 in einem APA-Interview betont. "Ich spreche nicht von Reparation für mich, ich schulde Österreich etwas. Ich habe etwa im Akademischen Gymnasium eine ausgezeichnete Erziehung gehabt. Aber meine Eltern wurden von hier verschleppt und in Auschwitz ermordet - das kann und soll man nicht reparieren."

Kohn kämpfte für Kanada mit den Alliierten

Kohn wurde am 9. März 1923 als Sohn des Inhabers des Postkartenverlags Brüder Kohn in Wien geboren. Er besuchte fünf Jahre lang das Akademische Gymnasium, bevor er im April 1938 ins Jüdische Gymnasium "umgeschult" wurde. Dort weckten zwei Lehrer seine Leidenschaft für Physik und Mathematik - zuvor war noch Latein sein Lieblingsfach gewesen.

1939 - drei Wochen vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs - gelang Kohn gemeinsam mit seiner Schwester Minna mit einem sogenannten Kindertransport die Flucht nach Großbritannien, von wo aus er als "Enemy Alien" nach Kanada gebracht wurde. Zwei Jahre später kämpfte er für Kanada mit den Alliierten.

Doktorat in Harvard

Seine wissenschaftliche Karriere startete Kohn 1945 an der University of Toronto, wo er zunächst seinen Bachelor in Mathematik und Physik machte und später einen Masterabschluss in Angewandter Mathematik anschloss. Das Chemie-Gebäude, wo auch militärische Forschung betrieben wurde, durfte der spätere Chemie-Nobelpreisträger aufgrund seiner damals deutschen Staatsbürgerschaft nicht betreten.

Das Doktorat in Theoretischer Physik absolvierte Kohn bereits in Harvard. Seine weitere wissenschaftliche Laufbahn führte ihn unter anderem an die Carnegie Mellon University in Pittsburgh, nach Kopenhagen, Paris, San Diego und schließlich nach Santa Barbara, wo er von 1979 bis 1984 der erste Direktor des Institute for Theoretical Physics an der University of California at Santa Barbara war. An dieser Hochschule war er auch nach seiner Emeritierung als Research Professor tätig - sie setzte ihre Fahnen als Reaktion auf Kohns Tod auf Halbmast. Zuletzt forschte er in den Bereichen erneuerbare Energie, Solarkraft, Klimaerwärmung und Makuladegeneration.

Der Nobelpreis im Jahr 1998

Den Chemie-Nobelpreis erhielt Kohn 1998 für die Entwicklung der Dichtefunktionaltheorie (DFT), deren Grundlagen er später in seinen Arbeiten zur elektronischen Struktur von Legierungen zu Beginn der 1960er-Jahre sah. Grob gesprochen handelt es sich bei der DFT um ein Näherungsverfahren, das auf atomarem Niveau beschreibt, was in Festkörpern und Molekülen vor sich geht.

Mit seinen Arbeiten habe es der Physiker ermöglicht, das Wissen über die Naturgesetze, nach denen chemische Reaktionen ablaufen, auch praktisch zu nutzen, begründete die Königlich-Schwedische Akademie der Wissenschaften in Stockholm die Nobelpreisvergabe an Kohn. Dass er als Physiker mit dem "falschen" Nobelpreis ausgezeichnet wurde, grämte ihn nicht: "Also, das war nie ein Problem."

Späte Ehrungen in Österreich

Nach der Nobelpreisvergabe wurde Kohn auch in Österreich mit zahlreichen Ehrungen bedacht. 1999 wurde er etwa mit dem Österreichischen Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst, 2009 mit dem Großen Silbernen Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich ausgezeichnet. 2011 wurde der Forscher, der seit 1963 Mitglied der American Academy of Arts and Sciences und seit 1969 der National Academy of Sciences ist, auch Ehrenmitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), 2012 erhielt er das Ehrendoktorat der Universität Wien.

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