Das Becken der Frauen weitet sich zum Gebären

Becken im Vergleich
Becken im Vergleich(c) University of Zurich
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Bei Frauen ist das Becken eng, das hat seinen Grund in der aufrechten Körperhaltung. Aber mit der Geschlechtsreife macht das Becken mehr Raum. Später schrumpft es wieder.

So schwer wie bei Menschen ist das Gebären bei keinem anderen Säugetier, da dreht und windet sich das Baby durch den Geburtskanal, die Mutter hat Schmerzen und Arbeit, „Wehen“ und „labour“. Das mag mit der Vertreibung aus dem Paradies zusammenhängen: Unter Schmerzen solle sie gebären, im Schweiße seines Angesichts solle er arbeiten (1. Mose 3,16). Übersetzt man den Mythos, trifft er die Neolithische Revolution vor 11.000 Jahren: Die Zeit des Jagens und Sammelns war vorbei, die Menschen sind sesshaft geworden und haben die Agrikultur erfunden.

Das war zweischneidig. Zwar brachte die Landwirtschaft mehr Nahrung, aber ungewisse: Fielen Ernten aus, blieben die Frauen, die den Hunger überlebten, klein. Kamen wieder üppigere Zeiten, wurden die Föten in ihnen groß, und mit ihnen die Schmerzen beim Gebären. Diese kommen vom Bau des Beckens: Dessen Knochen sind bei uns eng verwachsen, nur bei uns, selbst bei unseren nächsten Verwandten, den Schimpansen, sind sie lose verbunden, die Jungen flutschen heraus. Zudem haben sie viel kleinere Schädel, und unsere großen sind bei der Geburt das Hauptproblem, sie bringen das „Geburtshilfedilemma“ („obstetric dilemma“): Der Schädel des Kindes ist groß, fast so groß, wie das Becken der Mutter weit ist. Warum ist es nicht weiter? Das erklärte man lang damit, dass die Evolution einen Kompromiss zwischen Gebären und Gehen finden musste. Demnach konnte das Becken der Frauen nicht weiter werden, weil das den aufrechten Gang erschwert hätte.

Weites Becken, schlechter Gang? Nein!

Aber dann zeigten verbesserte biomechanische Modelle, dass die Breite des Beckens mit der Geschwindigkeit der Fortbewegung nichts zu tun hat: Frauen haben ein weiteres Becken, sie gehen und laufen nicht langsamer. Warum sind die Becken der Frauen also nicht weiter geworden?

Zur Klärung hat das Anthropologenpaar Marcia Ponce de León und Christoph Zollikofer (Uni Zürich) einen Umweg eingeschlagen und an 3-D-Aufnahmen die Entwicklung des Beckens über das Menschenleben hinweg rekonstruiert, an 275 Individuen beider Geschlechter und jeden Alters, von Kleinkindern bis zu 95-Jährigen.

Dabei hat sich an Kindern nur wenig Differenz gezeigt, die Becken der Mädchen werden etwas weiter als die der Burschen. Der große Unterschied kommt, wenn Frauen im gebärfähigen Alter sind, dann erweitern sich ihre Becken, sie sind 25 Prozent weiter als jene männlicher Altersgenossen. Das bleiben sie auch bis zum Alter von etwa 40 Jahren, dann verengen sie sich wieder, gesteuert wird dies vermutlich vom Östrogen (Pnas 25. 4.).

„Es ist wie ein Fenster, das sich eine Zeitlang öffnet und dann wieder schließt“, erklärt de León. Aber warum schließt es sich? Es habe schon mit dem aufrechten Gang zu tun, ergänzt Zollikofer, aber: „Der limitierende Faktor ist nicht die Energie der Fortbewegung, sondern die Stabilität des Unterleibs. Das Becken ist beim Stehen und Gehen einem hohen Druck ausgesetzt, deshalb ist ein kleiner Durchmesser von Vorteil.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.04.2016)

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