Gift und Galle unter Forschern

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Am 18. Mai entscheidet die EU-Kommission, ob das Herbizid Glyphosat in der EU weiter zugelassen bleibt. Es tobt ein Kampf zwischen Forschern und Industrie. Auch eine Boku-Studie zu Regenwürmern wurde Zielscheibe von Kritik.

„Wir wollen unsere tiefe Besorgnis ausdrücken“, schrieb im November 2015 der Krebsforscher Christopher Portier im Namen von 95 Kollegen an den EU-Gesundheitskommissar, Vytenis Andriukaitis. Eben hatte die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa) entschieden: Es sei unwahrscheinlich, dass Glyphosat für Menschen ein Krebsrisiko darstelle. Ein halbes Jahr zuvor hatte eine Studiengruppe der Internationalen Krebsforschungsagentur IARC, darunter Koautor Christopher Portier, das Gegenteil festgestellt. Nach einjähriger Analyse aller öffentlich zugänglichen Studien zu Glyphosat an Menschen, Mäusen, Ratten und Zellen stufte die IARC den Wirkstoff als „wahrscheinlich krebserregend“ ein.

Ist Glyphosat nun wahrscheinlich karzinogen, oder ist das ganz unwahrscheinlich? Die Wissenschaftler sind sich uneinig, und somit sind es auch die Politiker, die sich auf die Expertenmeinung verlassen (müssen). Die EU-Kommission hätte nach der turnusmäßigen Neubewertung im Rahmen der EU-Wirkstoffprüfung bereits bis Ende 2015 über die Wiederzulassung entscheiden sollen. Das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) hat rund 1050 Studien, darunter unpublizierte Studien der Hersteller, analysiert. Es gebe keine Hinweise auf eine krebserzeugende Wirkung, sagte das BfR in einem Zwischenbericht im Dezember 2013, der an die Stakeholder zur Diskussion ausgeschickt wurde.

Damit schien der Weg für die neuerliche Zulassung frei zu sein. Doch dann begann die IARC mit einer eigenen Untersuchung über vier Insektizide und Glyphosat. Und überraschte im März 2015 mit der im „Lancet“ veröffentlichten Ankündigung, Glyphosat als „wahrscheinlich krebserregend“ einzustufen. Ende Juli veröffentlichten die IARC-Forscher ihre vollständige Untersuchung. Sie wurde umgehend von anderen Forschern attackiert.

Regenwürmer leiden

Zeitgleich mit der Krebsfrage erregte auch eine Studie der Universität für Bodenkultur über die Wirkung von Glyphosat auf Regenwürmer einiges Aufsehen. Ein Artikel von Mailin Gaupp-Berghausen und ihrem Masterarbeit-Betreuer Johann Zaller, Zoologieprofessor an der Boku Wien, erschien Anfang August 2015 im Onlinejournal Scientific Reports, das zum Wissenschaftsverlag Nature gehört.

„Regenwürmer sind seit meiner Doktorarbeit mein Steckenpferd“, sagt Zaller. „Vor fünf Jahren – Glyphosat war gerade in aller Munde – interessierte ich mich dafür, welche Studien bisher über die Wirkung von Herbiziden auf Bodenorganismen gemacht wurden. Da stieß ich schnell an meine Grenzen: fast gar keine.“

Zaller konzipierte mehrere Studien für Masterarbeiten von Studierenden. Eine davon führte Mailin Gaupp-Berghausen durch. Dafür wurden Töpfe mit Erde befüllt und mit typischen Beikräutern – oder Unkräutern – bepflanzt. In eine Gruppe von Töpfen kamen Gemeine Regenwürmer, in die andere Wiesenwürmer. Sieben Wochen lang sammelte Gaupp-Berghausen täglich die Häufchen ein, die ihre Regenwürmer in den Töpfen hinterließen, wog und dokumentierte sie.

In der vierten Woche des Experiments schlüpfte die Studentin in einen weißen Kittel und setzte eine Maske vor Mund und Nase. Dann besprühte sie die Pflanzen in den Töpfen mit „Roundup“, das als Hauptwirkstoff Glyphosat enthält. Eine Kontrollgruppe blieb ohne Gift. Nach der dritten Herbizid-Applikation, diesmal mit „Roundup Speed“, starben die Pflanzen ab. Die Forschungshypothese war, dass die Regenwürmer nun viel Futter hatten und gedeihen würden.

Schließlich versichern die Hersteller, dass Glyphosat nur auf Pflanzen wirkt und Lebewesen – ob Insekten, Würmer, Mäuse oder Menschen – nicht schädigt. Die Hypothese erwies sich als falsch. Zwei Wochen nach der „Roundup“-Behandlung stellten die Gemeinen Regenwürmer ihre Aktivität fast völlig ein – sie machten keine Häufchen mehr. Die Wiesenwürmer blieben zwar weiterhin aktiv. Doch als Gaupp-Berghausen am Ende alle Würmer-Nachkommen einsammelte und analysierte, zeigte sich, dass die Fruchtbarkeit der Wiesenwürmer um circa 60 Prozent im Vergleich zu den Würmern in unbehandelten Töpfen zurückgegangen war.

Kritik von vielen Seiten

Das Forschungsergebnis überraschte Johann Zaller. „Wir fanden gravierende Effekte, die bisher offenbar noch nicht bekannt waren, obwohl das Produkt seit 40 Jahren auf dem Markt ist.“ Der Artikel im Scientific Journal erregte die Aufmerksamkeit von US-Agronomieprofessor Andrew Kniss. In seinem Blog www.weedcontrolfreaks.com kritisierte er die Versuchsanordnung, die zu falschen Ergebnissen geführt habe. Kniss ist, wie der Blog-Name zeigt, ein Verfechter von Herbiziden.

Kritik übte auch die Österreichische Agentur für Ernährungssicherheit (Ages), die den österreichischen Landwirtschaftsminister in der Zulassungsfrage berät. Die verwendete Herbizidmenge sei zu hoch gewesen, und das Mittel „Roundup Speed“ enthalte neben Glyphosat noch einen anderen Wirkstoff. Neben aller Kritik stellte die Ages auch fest, dass es definitiv Effekte auf Regenwürmer gab. Und dass weitere Feldstudien das Glyphosat-Risiko untersuchen sollten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.05.2016)

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