Computerspiele als Therapie bei ADHS-Störung

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Ein langsames, kurzes Spiel beruhigt Kinder mit dem Hyperaktivitätssyndrom und „zwingt“ sie zur Konzentration. Das fördert zielgerichtete Bewegung und die Aufmerksamkeit. Zugleich misst die Software den Erfolg.

Computerspiele sind in der Regel laut, schnell, grell und überfluten den Spieler absichtlich mit Reizen. Die Institute Informationsmanagement und Physiotherapie der Fachhochschule Joanneum Graz entwickelten ein Spiel, das genau den gegenteiligen Effekt erzielt. Es ist mit beruhigender Musik hinterlegt, gibt klare Linien vor, wird langsamer, wenn die vorgegebenen Ziele nicht erreicht werden, ist nach maximal 20 bis 30 Sekunden Spielzeit vorbei und gibt dem Nutzer ohne Ausnahme positive Feedbacks, nachdem das Spiel beendet ist.

Das ist besonders wichtig, damit „die Kinder nicht, wie bei anderen Spielen, das Gefühl haben, Loser zu sein“, sagt Petra Auner-Gröbl, Physiotherapeutin und Lehrende an der FH Joanneum. Denn das von ihr mitentwickelte Spiel wird vor allem als Therapiemittel bei Kindern mit Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) eingesetzt. Damit die Motivation hoch bleibt und die Kinder die Spiele sooft als möglich wiederholen, muss das positive Gefühl nach der absolvierten Übung überwiegen. Die Kürze der Spiele ist deshalb wichtig, weil sich Kinder mit ADHS ganz schwer länger konzentrieren können. Die bedachte Grafik und Musik bieten kontrollierte Reize an. Mit dieser „Game based Physiotherapy“ können Bewegungen gezielt ausgeführt und Konzentrationsstörungen verbessert werden.

Umgebauter Windows-PC

Die Hardware funktioniert ähnlich wie bei gängigen Spielkonsolen am Markt. Das Institut für Informationsmanagement installierte für ein Spiel ein Eingabegerät in einen handelsüblichen Windows-PC.

Die Kinder halten eine über die Hardware mit dem PC verbundene Stange und simulieren damit Drachenfliegen, indem sie Punkten am Bildschirm folgen. Verlässt ein Kind den Punktepfad, wird das Spiel automatisch langsamer, sodass sie zur gewünschten Bahn zurückkehren können: ohne Hektik und ohne Punkteverlust.

Die Eingabe dafür erfolgt durch zwei Varianten, die vom Gerät erkannt werden: erstens eine vom Spieler gehaltene neig- und drehbare Querstange und zweitens einen von der Decke hängenden Sack mit einer fixierten Lenkstange, die das Gefühl des Hängegleitens vermitteln soll.

Auner-Gröbl ist davon überzeugt, dass „sich mit dieser Motivation ein Trainingseffekt und Therapieerfolg einstellt.“ Die Kinder können die körperlichen Übungen, die mit Bewegungen, die das Computerspiel erfordert, korrelieren, genauer durchführen und länger andauernde Levels erreichen: Das alles, ohne sich ablenken zu lassen.

Vom Spiel in den Alltag

Die Physiotherapie setzt schon lange darauf, „spielerisch“ zum Erfolg zu kommen: „Es geht immer darum, den Transfer der Übungssituation in den Alltag zu übertragen“, sagt Auner-Gröbl. Ob dabei dem Patienten ein Ball zugeworfen wird, während er auf einem Balanceboard steht, oder Bewegungen mit Hilfe eines Computerspiels ausgeführt werden, sei im Grunde egal. Jedoch lässt sich die Therapie bei den Spielen speichern und auf den Patienten weiter anpassen.

Die „Game based Physiotherapie“ ist ein Hilfsmittel, ähnlich wie ein Gymnastikball oder eine Therapieliege. Noch findet diese Behandlungsart eher auf universitärer Ebene statt, obwohl Prototypen schon in heilpädagogischen Kindergärten getestet wurden. (por)

LEXIKON

Die Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung, kurz ADHS, ist eine psychische Störung, die sich oft durch eine geringe Aufmerksamkeitsspanne und einem erhöhten Bewegungsdrang der Kinder und Jugendlichen zeigt.

Die Krankheit hat zwar eine genetische Ursache, wird aber durch Umweltbedingungen verstärkt, etwa durch Schulstress und elterliche Probleme. Mangelnde Bewegung, häufiges Sitzen und Reizüberflutung durch gängige Computerspiele, Musik und Fernsehen verstärkt die Symptome von ADHS.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.05.2016)

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