Was kann die Landschaft für mich tun?

Mostviertel
Mostviertel(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Wiener Forscher nehmen das Mostviertel als Fallstudie für ein EU-Projekt: Sie suchen Lösungen für Konflikte, die weltweit zwischen Landwirtschaft und kultureller Nutzung der Landschaft entstehen können.

Frag' nicht nur, was du für die Umwelt tun kannst, frag' auch, was die Umwelt für dich tun kann. So könnte man den Trend beschreiben, dass unsere Ökosysteme nicht nur als etwas Schützenswertes wahrgenommen werden, sondern immer mehr als Dienstleister. „Ökosystem-Dienstleistungen“ ist das Schlagwort, unter dem sich viele Forschungsdisziplinen vereinen. Das EU-Projekt Tale, dessen Partner die Boku Wien ist, kümmert sich nun um die Vereinbarkeit der unterschiedlichen Services, die Ökosysteme den Menschen bieten.

Dass die Umwelt Gutes für uns tut, wurde bisher meist nur unter dem Aspekt der Produktion wahrgenommen: Wir bekommen Lebensmittel, entnehmen Rohstoffe oder gewinnen Biomasse zur Energiegewinnung aus verschiedenen Ökosystemen. „Neben diesen bereitstellenden Dienstleistungen sind aber auch regulative Dienstleistungen der Ökosysteme wichtig“, erklärt Martin Schönhart, der dieses Projekt mit Erwin Schmid am Institut für Nachhaltige Wirtschaftsentwicklung der Boku betreut. Ein gesunder Boden reinigt zum Beispiel unser Wasser. Boden, Pflanzen und Mikroorganismen binden Kohlendioxid aus der Luft und regulieren so das Klima.

Sport und kulturelle Erlebnisse

Und drittens steigt das Bewusstsein für kulturelle Dienstleistungen der Ökosysteme. Das ist alles, was wir in unserer Umwelt Positives erleben, sei es bei einem Spaziergang oder bei sportlichen Aktivitäten. „Auch spirituelle und kulturelle Erlebnisse sind mit gewissen Voraussetzungen der Kulturlandschaft verbunden“, erklärt Schönhart.

Doch die verschiedenen Ansprüche können zu Konflikten führen: Steigert man die Intensität der landwirtschaftlichen Produktion, kann dies die Möglichkeiten der Freizeitaktivitäten oder die Regulationsfähigkeit der Landschaft einschränken. „Auch die Artenvielfalt kann leiden, wenn man Ökosysteme zur Steigerung der Produktion verändert“, so Schönhart. Insgesamt muss also jede Gesellschaft überlegen, wie man mit solchen Konflikten umgeht und wie man Synergien schaffen kann, damit alle Wünsche befriedigt werden. Im Projekt Tale (Towards Multifunctional Agricultural Landscapes in Europe), geleitet vom Helmholtz Zentrum für Umweltforschung Leipzig und in Österreich vom FWF finanziert, werden nun Fallstudien für bestimmte Regionen Europas durchgeführt: So suchen die Forscher nach Lösungen für die Ökosysteme, ihre Dienstleistungen und die Menschen, die dort wohnen. Von den beteiligten Partnern kommen Szenarien aus der Schweiz, Spanien, Deutschland und den Niederlanden. In Österreich dient das Mostviertel in Niederösterreich als Fallstudie.

„Wer die Westbahn entlang fährt, sieht, wie vielfältig diese typische Kulturlandschaft ist“, sagt Schönhart. Jede Region hat unterschiedliche Standort-Faktoren wie Hangneigung, Klimabedingungen oder Bodenqualitäten, die jeweils auf die Art der Dienstleistungen einwirken. „Aus den unterschiedlichen Fallstudien wollen wir herausfiltern, ob es Lösungen gibt, die ähnlichen Regionen der Welt helfen können. Dazu muss man auch beachten, dass die Menschen in jeder Region unterschiedliche Bedürfnisse haben, was eine Kulturlandschaft leisten soll“, betont Schönhart.

Im Mostviertel, das geprägt ist von vielen einzeln stehenden Obstbäumen, der sogenannten Streuobst-Landschaft, gilt es herauszufinden, wie man die landwirtschaftliche Produktion effizienter gestalten kann – vielleicht auch durch Mechanisierung –, ohne die Qualitäten dieser traditionellen Landschaft zu gefährden.

Für alle Szenarien der jeweiligen Landnutzung werden nun Bewohner, Interessenverbände, Landwirte, Naturschutzgruppen sowie Tourismusbeauftragte befragt, um Wünsche und Bedürfnisse zu dokumentieren. In Computersimulationen spielen die Forscher durch, wie sich die jeweiligen Dienstleistungen verändern, wenn es zum Beispiel mehr oder weniger Wald gibt, wenn man mehr oder weniger Fläche unter Naturschutz stellt oder die agrarische Produktion verändert.

„So bekommen wir Zahlen, die klarmachen, welche Wünsche der Betroffenen erfüllbar sind und welche Zusammenhänge zwischen den einzelnen Bedürfnissen bestehen“, sagt Schönhart.

Wie sieht es in 40 Jahren aus?

Anhand an der Boku entwickelter Klimamodelle soll berechnet werden, wie diese Szenarien in zehn bis 40 Jahren bei veränderten Rahmenbedingungen aussehen. „Manche Gegenden werden fruchtbarer werden, andere weniger: Dies muss man abschätzen, um konkrete Vorschläge für die Zukunft zu bieten.“ Denn die Ergebnisse des Projekts sollen den Menschen vor Ort und der Politik dienen.

Zum Beispiel bei der Entwicklung von Agrarumweltprogrammen, in denen Maßnahmen zur Gestaltung unserer Kulturlandschaften gefördert werden. [ Foto: Dokne ]

IN ZAHLEN

76Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe in Österreich nehmen am ÖPUL-Programm des Lebensministeriums teil (Daten aus 2014). Dieses Agrarumwelt-Programm fördert den schonenden Umgang mit den natürlichen Ressourcen und den langfristigen Schutz des Klimas.

4850Euro betrug die durchschnittliche Förderung aus den ÖPUL-Mitteln für über 100.000 heimische Betriebe, die sich damit für eine umweltgerechte und den natürlichen Lebensraum schützende Landwirtschaft einsetzen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.05.2016)

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