Schlagen Antibiotika auf das Gehirn?

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An Mäusen zeigte sich, dass die nahezu komplette Ausschaltung der Darmflora durch Antibiotika mit eingeschränkter Neubildung von Gehirnzellen einhergeht und mit einer Schwächung des Gedächtnisses.

Sie waren die segensreichste Erfindung in der langen Geschichte der Medizin, die Antibiotika, erst durch sie konnten die Plagen der Infektionskrankheiten zurückgedrängt werden, die bis dahin die Todesursache Nummer eins waren. Inzwischen sind die Waffen ziemlich stumpf geworden, durch Übernutzung in der Humanmedizin und der Tierzucht, das ist die eine Sorge. Die andere liegt darin, dass Antibiotika offenbar doch nicht nur Segen schaffen: Epidemiologisch bringt man ihren breiten Einsatz auch an Kindern mit der „Epidemiologie der Fettleibigkeit“ (Weltgesundheitsorganisation WHO) in Verbindung, weil sie das Mikrobiom – früher hieß es: Darmflora – durcheinander bringen.

Und in einzelnen Fällen gibt es Berichte, dass sich Antibiotika aufs Gemüt schlagen, Psychosen auslösen („J Clin Psychopharamacol“ 34, S. 483), auch physiologische Einflüsse auf Entzündungen sind dokumentiert.

Und nun geht es um das Gehirn, exakter: um das Gedächtnis. Luisa Möhle (Magdeburg) hat Mäusen so viele Antibiotika gefüttert, dass ihre Darmbakterien nahezu auf null reduziert wurden. Daraufhin tat sich etwas im Gehirn, und zwar dort, wo neue Hirnzellen gebildet werden. Das hielt man lange für ausgeschlossen – man vermutete, alle Hirnzellen seien zu Beginn des Lebens da und würden nie erneuert –, erst seit einigen Jahren kennt man die Neurogenese, sie wird im Hippocampus bewerkstelligt.

Gehirn-Darm-Achse

Aber bei Möhles Mäusen konnte nicht viel wandern, weil nicht viel gebildet wurde, 40 Prozent weniger neue Neuronen. Die Folgen zeigten sich im Verhalten: Das Gedächtnis der Mäuse ließ nach. Dahinter steckt vermutlich die Gehirn-Darm-Achse: Die beiden kommunizieren ständig, über Nerven. Und darüber, welche Signale aus dem Darm kommen, sprechen die dortigen Bakterien mit. Es braucht nur noch einen Vermittler: In den Gehirnen der Mäuse waren das besondere Zellen des Immunsystems, Ly6G(hi)-Monozyten, ihre Zahl sank zuerst, dann die der neuen Hirnzellen („Cell Reports“, 19. 5.). Dagegen halfen Probiotika, auch körperliche Aktivität regte die Neurogenese wieder an. Was erstaunlicherweise nicht half, war die Transplantation von Kot von gesunden Mäusen: In ihm ist ja die Darmflora. Möglicherweise wirken Antibiotika also auch direkt – ohne Vermittlung durch das Mikrobiom – auf das Gehirn. Auf das von Menschen auch? Das weiß man nicht, die Dosierung war unrealistisch hoch. Die Forscher wollen es und den etwaigen Segen von Probiotika und Sport im nächsten Schritt erkunden.

(Print-Ausgabe, 24.05.2016)

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