Neandertaler-Stonehenge tief in der Erde?

Funde in Südfrankreich
Funde in SüdfrankreichEtienne FABRE - SSAC/Handout via Reuters
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In einer Höhle in Südfrankreich wurden Steinringe gefunden, die aus Stalagmiten errichtet wurden, vor 175.000 Jahren. Sie sind die älteste Konstruktion aus Menschenhand, ihre Funktion ist ein Rätsel.

Als Höhlenforscher 1990 in Südfrankreich eine Höhle entdeckten, deren Eingang vor Jahrtausenden eingestürzt war – Bruniquel –, stockte ihnen bald der Atem: 336 Meter nach dem Eingang öffnete sich der oft enge Weg zu einer Kammer, in der Steine zu ringförmigen Strukturen aufgehäuft waren, kniehoch. Das Material war von Stalagmiten, den Tropfsteinen, die vom Boden nach oben wachsen. Ein angesengter Knochen machte alles vollends zum Mysterium: An ihm konnte man datieren – mit der Radiokohlenstoffmethode –, man kam auf ein Alter von 47.600 Jahren.

Vor 47.600 Jahren gab es nur einen Menschen in Europa, den Neandertaler. Homo sapiens war vor frühestens 45.000 Jahren da. Und in den Neunzigerjahren herrschte vom Neandertaler noch das Bild eines eher ungeschlachten Gesellen, dessen Intelligenz sich mit unserer nicht im Entferntesten messen konnte. Das hat sich geändert: Neandertaler hatten etwas größere Gehirne als wir, sie waren geschickte Jäger, geschickte Techniker auch – haben etwa mit Feuer aus Pflanzensäften Klebstoff hergestellt –, und sie haben obendrein, was man als Zeichen der höheren Kultur deutet, Gegenstände mit symbolischem Gehalt, Schmuck etwa, aus Schneckenschalen und Adlerkrallen verfertigt.

Zwei Tonnen, sorgsam aufgeschlichtet

Aber eine ganze räumliche Konstruktion aus abgebrochenen Stalagmiten? Die Sensation lag in der Luft, aber kurz nach dem Fund starb der Chef der Forschergruppe, das Mirakel geriet in Vergessenheit. Jetzt wurde es wieder entdeckt, halb durch Zufall: Sophie Verheyden, Höhlenforscherin der Uni Brüssel, hatte nahe der Höhle ein Ferienhaus gekauft, sie stieß auf die alte Spur und trommelte Spezialisten zusammen. Diese sahen das Gleiche wie ihre Kollegen in den Neunzigerjahren, sie vermaßen es exakter: Insgesamt zwei Tonnen Material wurden sorgsam aus Stalagmiten herausgebrochen – je etwa 30 Zentimeter lang, immer Mittelteile, keine Enden – und zu zwei Kreisen aufgeschlichtet. Der größere hat einen Durchmesser von 6,7 Metern, eine dritte Struktur ist ein Steinhaufen (Nature 25. 5.).

Das alles kann nur von Menschen errichtet worden sein, nicht von Höhlenbären, sie benutzten die Höhle zwar periodisch auch, aber nur am Eingang. Und diese Menschen können nur Neandertaler gewesen sein, aber was für welche! Anders als in den Neunzigerjahren kann man Stalagmiten heute direkt datieren – sie sind mindestens 175.00 Jahre alt. Das ist das Älteste, was je von Menschen verfertigt wurde. Und niemand hat auch nur die geringste Idee, wozu es gedient haben könnte: „Ich bin Höhlenforscherin“, erklärt Verheyden, „aber etwas wie diese Strukturen habe ich noch nie gesehen.“

Viele vermuten eine kultische Bedeutung. Aber diese muss nach alter Archäologenweisheit immer einspringen, wenn man vor einem restlos rätselhaften Fund steht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.05.2016)

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