Elektronen-Kipferl in Zeitlupe gesehen

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March 7 2016 Seahouses Northumberland UK Seahouses UK Aurora borealis seen vividly over the(c) imago/ZUMA Press (imago stock&people)
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Magnetosphäre. Nasa-Satelliten, die mit österreichischer Beteiligung entwickelt wurden, beobachteten erstmals, wie sich Elektronen im All verhalten, wenn sich Magnetströme der Erde und der Sonne vermischen.

Das Navi streikt, die Handyverbindung bricht ab. Für solche Ärgernisse und für Phänomene wie Polarlichter können Sonnenwinde und Weltraumwetterstürme verantwortlich sein. „Die Auswirkungen der Effekte, wenn das Magnetfeld der Erde mit dem der Sonne wechselwirkt, sind für uns sichtbar“, erklärt Wolfgang Baumjohann, Direktor des Instituts für Weltraumforschung (IWF) der ÖAW in Graz. Doch bisher waren nicht alle Details dieses als „magnetische Rekonnexion“ bekannten Effekts am Rande des Erdmagnetfelds messbar.

Durch eine speziell für diesen Zweck entwickelte Nasa-Mission, die aus vier Satelliten besteht, konnte erstmals gemessen werden, wie sich Elektronen verhalten, die eine solche magnetische Neuorientierung durchmachen. Die Ergebnisse der Forschungen, an denen das IWF als größter nicht amerikanischer Partner beteiligt ist, wurden nun im Wissenschaftsjournal „Science“ veröffentlicht. „Bei uns auf der Erde sind Magnetfeldlinien nicht spürbar, jeder kann durch sie hindurchgehen“, erklärt Baumjohann. Wenn man mit einem Smartphone, das ein elektromagnetisches Feld generiert, am elektromagnetischen Feld des Fernsehers vorbeigeht, passiert gar nichts.

„Doch außerhalb des Erdmagnetfeldes sind magnetische Feldlinien mit Plasma belegt, es sind also richtige Röhren voller Elektronen und Ionen, die magnetisch geladen sind“, sagt Baumjohann. Diese magnetischen Flussröhren rotieren wie Supraleiter im Weltall und können sich mit den magnetischen Linien, die von der Sonne ausgehen, eigentlich nicht kreuzen.

„Man wusste aber von Auswirkungen wie Polarlichtern oder Störungen der Funkkommunikation, dass das Magnetfeld der Erde und das der Sonne nicht völlig unabhängig sind: Es wurde schon vor zwanzig Jahren bewiesen, dass sich Teilchen von den Feldlinien lösen können“, sagt Baumjohann.

Wie ein Lotto-Sechser

Dieses Lösen ermöglicht erst die Vermischung der Feldlinien der Erde und der Sonne, sodass Teilchen und Energie der Sonne in das Erdmagnetfeld gelangen können. Satellitendaten zeigten bereits, wie sich relativ große geladene Teilchen, also Ionen, bei solchen magnetischen Zusammenstößen verhalten. „Es war aber unklar, wie sich die viel kleineren Elektronen von den Feldlinien lösen: Das wurde nun erstmals beobachtet.“ Dass der Nasa-Mission gleich bei der ersten Testfahrt im Oktober 2015 ein Schnappschuss dieses Phänomens gelang, ist wie ein Lotto-Sechser. Die Satelliten flogen direkt durch eine Geburtsregion dieser Teilchenablösung: Ihre Messungen waren tausend Mal schneller als bisherige Aufnahmen. Die magnetische Rekonnexion konnte also wie durch ein Mikroskop und zugleich mit Zeitlupe in hoher räumlicher und zeitlicher Auflösung gemessen werden.

Freilich gab es dazu schon Computersimulationen. „Doch die waren oft widersprüchlich. Die Natur macht es immer ein bisschen anders, als man denkt“, so Baumjohann. Viele Details der Simulationen davon, wie sich Elektronen aus den Feldlinien der Erde lösen, wurden durch die Nasa-Satelliten nun bestätigt. „Aber hier wurde zum Beispiel erstmals gezeigt, dass sich Elektronen, kurz bevor sie sich lösen, zu einer Verteilung zusammenfinden, die der Form eines Mondes oder eines Kipferls ähnelt“, betont Baumjohann. (vers)

LEXIKON

Magnetische Rekonnexion heißt der Vorgang, bei dem sich Teilchen aus den magnetischen Feldlinien der Erde im Weltall lösen, um mit Teilchen der Magnetlinien der Sonne neu sortiert zu werden. Dadurch können stürmische Sonnenwinde das Erdmagnetfeld beeinflussen. Große Ionen bewegen sich im Weltraumplasma der magnetischen Flussröhren langsamer und weiter als kleine Elektronen. Diese Nasa-Mission konnte die Bewegungen der Elektronen im Millisekunden-Bereich auf einer Skala von wenigen Kilometern erfassen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.05.2016)

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