So arg wird die Erwärmung nicht

Wolken wie diese am Strand von Sydney haben immer schon gekühlt, nicht erst seit der Industrialisierung.
Wolken wie diese am Strand von Sydney haben immer schon gekühlt, nicht erst seit der Industrialisierung.(c) REUTERS (DAVID GRAY)
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Im Hightech-Labor von CERN und hoch im Gebirge zeigte sich, dass man die Bildung von Wolken falsch verstanden und ihre Geschichte falsch rekonstruiert hat.

Die großen Unbekannten im Klimageschehen hängen hoch am Himmel, man kann sie mit bloßem Auge sehen – anders als die Treibhausgase –, aber verstanden sind sie kaum, die Wolken, weder in ihrer Wirkung noch in ihrer Entstehung: Zu Letzterer braucht es, ganz grob, zweierlei: Wasserdampf und Teilchen – Nukleationskerne –, an die er sich anlagert und Tropfen bildet. Von denen gibt es wieder zwei, zu gleichen Teilen: Die einen sind primäre, bestehen aus Wüstenstaub oder Meersalz, auch aus Menschgemachtem, Ruß etwa.

Die anderen sind sekundäre, sie bilden sich erst hoch in der Luft aus Aerosolen, das sind feste, flüssige oder gasförmige Schwebstoffe, die miteinander verklumpen, bis sie groß genug für Nukleationskerne sind. Viele dieser Aerosole kommen aus der Natur, etwa aus Kiefernwäldern, ihr Duft stammt von einem Terpen, α-Pinen. Bisher ging man davon aus, dass solche Aerosole aus eigener Kraft nicht verklumpen können, sondern dass es dazu Schwefeldioxid (SO2) braucht. Das kommt teils aus der Natur, aus Vulkanen, seit der Industrialisierung zunehmend aber auch aus Schornsteinen und Auspuffen.

Wolken aus dem Duft von Kiefern

Als in Osteuropa aus denen fast nichts mehr kam, weil mit dem Kommunismus seine Dreckschleudern verschwunden waren, wurde es über Europa wärmer – es gab weniger Wolken, die kühlten –, man nannte es den Gorbatschow-Effekt. Aber der konnte sich nur einstellen, weil es etwas anderes nicht mehr gab, endlose Nadelwälder etwa, aus denen α-Pinen in die Luft gelangt: Denn das braucht, anders als bisher vermutet, zum Verklumpen überhaupt kein SO2. Das zeigte sich in einem Labor von CERN in Genf: Dort simuliert man in einer zylindrischen Kammer mit 4,3 Metern Höhe und drei Metern Durchmesser – Cloud (Cosmics Leaving Outdoor Droplets) – die Bildung von Wolken, und dort kann man hochenergetische Teilchen aus dem Beschleuniger LHC abzweigen (in ihm fand man die Higgs-Teilchen). Mit ihnen lässt sich die kosmische Strahlung simulieren, die die Atmosphäre mit Teilchen bombardiert.

In Cloud entstanden aus α-Pinen Nukleationskerne, vor allem dann, wenn zugleich beschleunigte Teilchen da waren. Das klingt trocken, hat aber Sprengkraft: Bisher ging man davon aus, dass es vor der Industrialisierung mit ihrem SO2 weniger Wolken gab, dass deren kühlender Effekt also erst einsetzte, als auch die Treibhausgase in die Luft geheizt wurden. Seitdem „maskiere“ die Wirkung der Wolken jene der Treibhausgase.

Aber vor der Industrialisierung waren eben nicht weniger Wolken da, ihre Nukleationskerne hatten nur anderen Quellen. Damit wird im Umkehrschluss die Erwärmung durch die Industrialisierung weniger dramatisch (Nature, 26. 5.): „Der Klimaeffekt der Treibhausgase wird also bezogen auf die vorindustrielle Zeit etwas kleiner sein, als bisher angenommen wurde“, schließt Atmosphärenchemiker Urs Baltenberger (Paul Scherrer-Institut, Villigen).

Aber kann man aus den 26.000 Litern Luft in Cloud einen so weit reichenden Schluss auf das Weltklima ziehen? Offenbar: Baltenberger hat nicht nur im CERN experimentiert, sondern auch auf dem Jungfraujoch gemessen, in 3500 Metern Höhe, weitab aller SO2-Quellen (Science 26. 5.): Auch dort ist die Luft voller biogener Aerosole.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.05.2016)

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