So klappt es mit Kind und Karriere

Themenbild
Themenbild(c) Clemens Fabry
  • Drucken

Sylvia Frühwirth-Schnatter berechnete, welche Vor- oder Nachteile es Müttern bringt, länger oder kürzer in Karenz zu bleiben. Ihre statistische Arbeit fokussiert oft auf die Einzelperson.

Die Presse:In einer großen Studie zeigten Sie kürzlich, wie sich die Länge der Karenzierung auf das Einkommen von Frauen auswirkt. Was war für Sie das überraschendste Ergebnis?

Sylvia Frühwirth-Schnatter:Wir konnten mit neuen statistischen Modellen „Was wäre, wenn“-Fragen lösen. Wir verglichen also die tatsächliche Gehaltsentwicklung jeder Frau, die ein bestimmtes Karenzmodell gewählt hatte, mit der statistisch wahrscheinlichsten Entwicklung, die sich ergeben hätte, wenn diese Frau länger oder kürzer in Karenz geblieben wäre. Überraschend war, dass die meisten Frauen sich genau so entschieden hatten, dass langfristig keine Nachteile für sie entstanden sind.

Was heißt das genau?

Im Juli 2000 gab es eine Änderung der Karenzregelungen: Zuvor war der Karenzurlaub auf 18 Monate begrenzt, danach konnte man sich entscheiden, ob man diese 18 Monate nimmt oder noch ein Jahr dranhängt. Unsere Berechnungen zeigten, dass die Frauen, die auf die Änderung der Politik reagierten und das zusätzliche Jahr in Anspruch nahmen, langfristig – also nach drei, vier Jahren – keinen Unterschied im Einkommen hatten, im Vergleich zu dem, was sie bekommen hätten, wenn sie schon nach 18 Monaten den Wiedereinstieg gemacht hätten.

Und was kam bei Frauen heraus, die die kürzere Karenz wählten?

Auch hier zeigt unser Modell, dass diese Frauen dabei sehr rational überlegt haben: Die Berechnung der alternativen Entwicklung zeigt, dass sie einen starken finanziellen Nachteil hätten in Kauf nehmen müssen, wenn sie länger in Karenz geblieben wären. Der berühmte „Family Gap“ hätte sich bestätigt, auch über längere Zeit. Wir vermuten, dass Frauen, die sich für die kürzere Karenzzeit entschieden haben, kurz vor einem Karrieresprung gestanden sind, den sie durch eine längere Abwesenheit nicht hätten wahrnehmen können.

Sie konnten die Daten von 31.000 Müttern auswerten. Wie kommt man an so große Datenmengen?

Das war in einem großen Forschungsnetzwerk möglich, das vom Wissenschaftsfonds FWF finanziert wurde und den Arbeitsmarkt und Wohlfahrtsstaat in Österreich erforscht hat. Wir hatten Zugang zu den Daten des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger, die zur Berechnung der Pensionen die Daten aller Arbeitnehmer in Österreich sammeln. In anonymisierter Form haben wir die administrativen Daten von 31.000 nicht selbstständig arbeitenden Frauen ausgewertet.

Was war die übergeordnete Forschungsfrage?

Gemeinsam mit Kolleginnen aus Australien und der Uni Linz haben wir berechnet, was es die Mütter kostet, für den Karenzurlaub eine berufliche Auszeit zu nehmen. Ein Hauptergebnis war, dass alle Mütter nach dem Wiedereinstieg Einkommenseinbußen erfahren.

Das ergibt sich meistens aus der Teilzeittätigkeit, die viele Mütter nach der Karenz für einige Zeit ausüben.

Wahrscheinlich ist es so: Wir konnten in diesen Daten nicht sehen, wie viele Stunden pro Woche jede Frau angestellt war. Der Durchschnitt des Einkommensrückgangs bei allen 31.000Frauen lag bei 4700 Euro pro Jahr.

Konnten Sie in diesem Projekt Vergleiche zu anderen Ländern ziehen?

Nein, in diesem Netzwerk hatten wir keine empirischen Daten aus anderen Ländern. Es ist jedoch so, dass Europa generell eine gute Datenbasis hat und sehr oft Kollegen aus den USA mit europäischen Partnern zusammenarbeiten, um Zugang zu diesen spannenden Daten zu bekommen.

Waren Sie versucht, Ihre persönlichen Daten in die Modellrechnung einzutragen, um selbst zu erfahren, was wäre, wenn Sie sich bei Ihrer Karenz anders entschieden hätten?

Nein, das ist nicht möglich (lacht).Erstens gab es Mitte der 1990er-Jahre, als meine Zwillinge zur Welt kamen, keine Wahl zwischen langer oder kurzer Karenz. Und zweitens waren Beamte aufgrund vieler Sonderregelungen aus unseren Berechnungen ausgenommen.

Sie haben kurz darauf noch einen Sohn bekommen, hatten also drei kleine Kinder, als Sie als Assistentin eine Karriere an der Wirtschaftsuniversität Wien anstrebten. Was hat Ihnen geholfen, dass dies gut geklappt hat?

Es braucht dazu immer die Unterstützung des persönlichen Umfelds und des Dienstgebers. Ich war in der glücklichen Lage, dass sich mein Mann sehr engagiert hat: Es gab damals zum ersten Mal die Möglichkeit, die Karenzzeit zwischen beiden Eltern zu teilen, und mein Mann war fast ein Jahr in Teilzeitkarenz.

Und wer schaute auf die Kinder, als Sie beide wieder voll berufstätig waren?

Die zweite wichtige Säule in der Kinderbetreuung war bis zum Eintritt in den Kindergarten meine Mutter. Doch genauso wichtig war, dass mein damaliger Dienstvorgesetzter mir Möglichkeiten gegeben hat, meine Arbeitszeiten flexibel einzuteilen und ich sehr viel Home Office machen konnte – so hieß das damals noch gar nicht. Wichtige Sitzungen wurden stets so gelegt, dass ich trotz Kinderbetreuungspflichten daran teilnehmen konnte. Ich weiß, dass das ein Glücksfall war, denn in den 1990er-Jahren war das gesellschaftliche Umfeld noch nicht so unterstützend wie heute.

Haben es junge Mütter heute leichter als vor 20 Jahren?

Der Wunsch der Frauen, Kind und Beruf unter einen Hut zu bringen, ist zwar als selbstverständlich und legitim anerkannt. Aber ich bin immer wieder entsetzt über die prekären Arbeitsverhältnisse der jungen Menschen: Viele arbeiten in kurzfristigen Projekten ohne eine langfristige Perspektive beim selben Arbeitgeber. Eines der Ergebnisse unserer Studie ist auch, dass die Bindung an den Arbeitgeber bei der Entscheidung, ob und wie lang eine Frau in Karenz geht, wichtig ist. Wer nach der Karenz zum gleichen Arbeitgeber zurückkehrt, hat unmittelbar danach kleinere Einkommenseinbußen. Je prekärer die Arbeitssituation, umso eher wird die Familienplanung aufgeschoben. Und durch die höhere berufliche Mobilität, die heute gefordert ist, haben viele nicht mehr das unterstützende Umfeld und ihre Eltern in derselben Stadt.

Gibt es Unterschiede für junge Familien in der Stadt im Vergleich zu Familien auf dem Land?

Wir sehen da eine große Diskrepanz: Der städtische Bereich hat stark aufgeholt im Vergleich zu skandinavischen Ländern oder Frankreich, wo es traditionell gut gelingt, Familie und Beruf zu verbinden. Doch im ländlichen Bereich in Österreich gibt es kaum eine Änderung, was die Angebote und Öffnungszeiten der Kindergärten betrifft. Hier fehlen Ansätze wie die der städtischen Kindergärten oder der Betriebskindergärten. Ich habe die Befürchtung, dass sich das auch nicht bald ändern wird.

Wie beurteilen Sie die Beteiligung der Väter bei der Kinderbetreuung?

Da stehen wir noch ganz am Anfang: Hier an der WU haben wir zwar einige vorbildliche Väter, die bis zu einem Jahr Karenzurlaub nehmen. Doch sie sind in der Minderzahl.

Eines Ihrer Fachgebiete ist die Mikroökonometrie: Was bedeutet das?

Das heißt, dass man wirtschaftliche Daten auf der Ebene der einzelnen Person analysiert. Ein gutes Beispiel ist die britische Kohortenstudie. Hierbei werden von allen Kindern, die in England in einer Woche im Jahr 1970 geboren wurden, regelmäßig Daten erhoben: über Befragungen oder mit Intelligenztests und der Untersuchung ihrer gesundheitlichen Werte. Auch ihre Eltern und Lehrer wurden befragt. Nun schaut man, wie sich diese jungen Menschen hinsichtlich ihrer Gesundheit, kognitiven Fähigkeiten und ihres Erfolgs auf dem Arbeitsmarkt entwickeln. Wir untersuchen in diesen Daten, welche Messungen aus der Kindheit und Schulzeit erklären können, ob man heute beschäftigt oder arbeitslos ist, wie viel man verdient und wie sich diese jungen Menschen gesundheitlich entwickeln.

Gibt es dazu schon Ergebnisse?

Unsere statistische Methode vergleicht Milliarden von Modellen gleichzeitig: Diese Berechnungen lernen selbstständig, versteckte Faktoren zu finden und herauszufiltern, welche Faktoren einen Einfluss haben. Wir stehen noch am Anfang der Auswertung, die zeigen soll, ob Fettleibigkeit in der Kindheit oder Auffälligkeiten in der Schule Auswirkungen haben oder welche Rolle die Intelligenz der Kinder spielt.

ZUR PERSON

Sylvia Frühwirth-Schnatter (geboren 1959 in Wien) promovierte in Mathematik an der TU Wien und begann ihre wissenschaftliche Karriere an der Wirtschaftsuniversität Wien. Von 2003 bis 2011 war sie Professorin für Angewandte Statistik und Ökonometrie an der Uni Linz. Die Mutter dreier Kinder pendelte in diesen Jahren zwischen Wien und Linz. Vor fünf Jahren ist Frühwirth-Schnatter an die WU Wien zurückgekehrt und leitet hier seit 2014 das Institut für Statistik und Mathematik. An der WU Wien ist sie auch Mitglied im Arbeitskreis für Gleichbehandlungsfragen. Gemeinsam mit ihren Kolleginnen Helga Wagner vom Institut für Angewandte Statistik der Uni Linz und Liana Jacobi von der University of Melbourne, Australien, entwickelte Frühwirth-Schnatter ein Modell, das „Was wäre, wenn“-Fragen berechnet. Sie konnten zeigen, dass bei der Entscheidung über die Dauer einer Elternkarenz der wirtschaftliche Aspekt eine wesentliche Rolle spielt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.06.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.