Das Meer und die Macht entlang der Adriaküste

Meer
Meer(c) . (Erwin Wodicka)
  • Drucken

Das Leben an den Küsten wurde im Frühmittelalter vom Meer, den Gezeiten und den Sternen bestimmt. Strände galten als gefährlich, rau und unheimlich: Doch entlang der Adria entstand auch ein neuer Adel.

Ob lange Sandstrände oder raue Felsklippen, ob Sonnenschein oder Regen: Küsten sind Touristenmagnete. Tausende strömen jährlich an die Ränder des Landes, wo sich Meer und Erde treffen. Hier liegt für viele die Schönheit der Natur, hierher kommt man, um zu genießen. Im frühen Mittelalter war das anders: „Küsten galten als gefährlich, rau und unheimlich“, sagt Francesco Borri, Historiker am Institut für Geschichte der Universität Wien. Doch genau darauf konzentriert sich Borri in dem vom Österreichischen Wissenschaftsfonds (FWF) finanzierten Projekt „Aristokratie zwischen den Gezeiten: Identität, Seefahrt und Macht entlang der Adriaküste“.

Der in Wien forschende Italiener bemerkte, dass vom heutigen Italien über Dalmatien bis nach Albanien eine Gruppe von Menschen lebte, die deutliche Ähnlichkeiten aufwiesen: Sie sprachen Latein, hatten starke Verbindungen nach Byzanz und trugen Namen und Titel, die ihre Nachbarn im Hinterland nicht hatten. Borri schließt daraus, dass etwa die Küstenbewohner des heutigen Venedig und Dubrovnik mehr gemeinsam hatten als mit ihren unmittelbaren Nachbarn – die sie auf Lateinisch als Barbaren bezeichneten – an Land hatten.

Die Nachfolger Roms

Vom Ende des Weströmischen Reiches im 5. Jahrhundert nach Christus bis etwa 1000, als die Republik Venedig zur dominierenden Mittelmeermacht wurde, sahen sich die Lateinisch sprechenden Küstenbewohner als Nachfolger der Römer. Sie bezeichneten sich zum Teil auch als Romani. Genau diese Zeit erforscht Borri nun.

Quellen sind allerdings wenige vorhanden. Die schriftlichen Annalen und Chroniken in lateinischer oder griechischer Sprache sowie archäologische Funde wie Münzen aus dieser Zeit konzentrieren sich zudem auf die Bewohner und die Aristokratie im Hinterland. Das ist nicht verwunderlich: Erstens waren die Küstenbewohner eine vergleichsweise kleine Gruppe und zweitens konzentrierte sich der Quellen hinterlassende Adel auf seinen Landbesitz, seinen Inbegriff von Prestige und Reichtum.

Auch die Aristokratie entlang der Adria besaß Land, aber zudem nannten sie – im Unterschied zu den meisten europäischen Adeligen jener Zeit – Schiffe und Häfen ihr Eigen. Nicht einmal jede Insel-Aristokratie besaß damals Schiffe. Der Adel auf Kreta beschränkte sich auf seinen Landbesitz. Eine vergleichbare Seemacht ist nur in Nordeuropa zu finden, wo die Wikinger die Küsten bewohnten. Sie dienen Borri auch als Vergleich.

Erst allmählich bauten die Adriabewohner ein Handels- und Kommunikationsnetz auf, dass das Meer als Zentrum ihrer Machtausübung hatte. Wobei dieses noch nicht völlig „bezwungen“ werden konnte. Im Winter war das Meer nicht befahrbar. Von Ebbe und Flut waren die Seefahrer ebenso abhängig wie von Wind und Wetter. „Das Leben war ganzjährig vom Meer reguliert“, sagt Borri.

Das brachte aber auch eine gewisse Gleichstellung der Gesellschaftsschichten mit sich. Denn die Aristokraten waren zwar etwas reicher als einfache Seefahrer und Händler, aber das Leben an den Küsten war wegen der Macht des Meeres ähnlich. Ressourcen waren für alle zugänglich, Fischerei- und Jagdrechte noch nicht reguliert. Kurz: Einfache Leute konnten genau soviel Fisch und Fleisch essen wie die hohe Aristokratie. (por)

LEXIKON

Das Meer rückt in den historischen Quellen des Mittelalters erst um 800 vermehrt in das Zentrum der Betrachtung. Zuvor waren das Land und der damit verbundene Besitz das bestimmende Thema neben christlichen und religiösen Motiven. Die Küstenregionen, etwa die Adria, und das Meer tauchten auf, als dieses zunehmend zum bestimmenden Kommunikations- und Transportweg wurde. Erst dann konnte sich eine Identität entwickeln, die auf die Seefahrt und dem Meer aufgebaut war: So geschehen bei der Republik Venedig, die um 1000 zur Adriagroßmacht wurde.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.06.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.