Forschungsförderung: „Ich will Synapsen in Action zeigen“

INTERVIEW: PETER JONAS (WITTGENSTEIN-PREISTR�GER 2016)
INTERVIEW: PETER JONAS (WITTGENSTEIN-PREISTR�GER 2016)(c) APA/HERBERT PFARRHOFER (HERBERT PFARRHOFER)
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Der höchste Wissenschaftspreis der Republik, der Wittgenstein-Preis, geht heuer an Peter Jonas, der am IST Austria in die feinsten Feinheiten des Gehirns vordringt.

Mir schwebt vor, in Echtzeit sichtbar zu machen, wie Informationen im Gehirn verarbeitet werden.“ Mit diesen Worten umriss Peter Jonas, Neuroforscher am Institute for Science and Technology (IST Austria), am Montag, wofür er einsetzen möchte, was ihm gerade zugesprochen worden war, die höchste Forschungsauszeichnung der Republik: der Wittgenstein-Preis, mit 1,5 Millionen Euro besser dotiert als der Nobel-Preis. Jonas will damit „Synapsen in Action“ zeigen, und er weiß, wie ambitioniert das Unterfangen ist: Schon die schieren Zahlen von dem, was wir in unserem Gehirn haben, gehen nicht in unser Gehirn hinein: Es sind geschätzte zehn Milliarden Neuronen (und unzählige andere). Und untereinander verknüpft sind sie mit einer Trilliarde Synapsen. Das sind Spalten zwischen den Zellen, über die hinweg kommuniziert wird, auf chemischem Weg, mit Neurotransmittern.

Schon das sind grobe Schätzzahlen, und wie die Zellen alle zusammenarbeiten, liegt weithin im Dunkeln. Zwar wurde 1990 eine „Dekade des Gehirns“ ausgerufen, die bis zur Jahrtausendwende Transparenz in das komplexeste Organ der Natur bringen wollte. Aber daraus wurde wenig. „Aus meiner Sicht stehen wir am Anfang“, erklärte Jonas. Das ist nun aber auch wieder eine Untertreibung: Er selbst, ein 55-jähriger Deutscher, der vor fünf Jahren ans IST kam, hat schon viel Licht in das Geschehen in Synapsen gebracht: Über sie können die Zellen in zwei Richtungen gesteuert werden – aktiviert bzw. gehemmt –, für jede ist ein Neurotransmitter zuständig, Glutamat zur Erregung, GABA zur Inhibition.

Die beiden müssen ausbalanciert sein, sonst kommt es zu „Synaptopathien“, bei denen Teile des Gehirns außer Kontrolle geraten. Ein altes Beispiel ist Epilepsie: Bei einem Anfall ist die Hemmung zu schwach – GABA zu gering –, die Erregung unkontrolliert. Aber auch bei Autismus gibt es den Verdacht, dass Fehler in den Synapsen eine Rolle spielen, auch bei psychiatrischen Erkrankungen, Schizophrenie etwa.

„Build it and you can understand it“

Bis zu diesen Leiden bzw. möglichen Abhilfen ist es ein weiter Weg: Jonas ist bei den Grundlagen an der vordersten Front, dort treibt er die Forschung mit avanciertesten Techniken voran, aktiviert etwa Neuronen mit Optogenetik – in ihr werden Gene durch Licht angeworfen –, hält dann das Geschehen mit vielerlei Mikroskopie im Blick, räumlich im Bereich von Nanometern, zeitlich in dem von Mikrosekunden. Und er arbeitet sich von unten nach oben vor, von der molekularen Ebene auf die zelluläre bis hin zu der des Systems, dessen Vorgänge er in Modellen simuliert: „Build it and you can understand it“, zitiert Jonas seinen Kollegen John Hopfield.

Was genau will er nun bauen und dadurch verstehen? Man kennt die Struktur von Synapsen, und man kennt ihre Funktion. Was man noch kaum kennt, ist das Zusammenspiel beider. In dessen Erkundung will Jonas das Preisgeld investieren. Das ist riskant – es geht um das Herumtasten mit Cutting-Edge-Techniken im „blue sky“ –, aber wenn es gelingt, gibt es „im Idealfall ein klares Bild der strukturellen Änderungen“, etwa der in der Zellen, angeregt durch Glutamat, die gerade etwas lernen. Lernen können sie viel, die schwierigsten Dinge, das zeigten die Vorhaben der gleichzeitig bekannt gegebenen sechs Start-Preisträger, das sind Nachwuchsforscher. Und deren Zusammensetzung zeigt, wie jedes Jahr, auf welchen Feldern Österreich international etabliert ist.

Da ist die Mathematik, vertreten in diesem Jahr durch Michael Eichmair und Harald Grobner, beide Uni Wien: Eichmair erkundet die „Isoperimetrie“ – die Frage danach, welche Form bei fest gegebenem Umfang den größten Flächeninhalt einschließt –, Grobner geht es um „L-Funktionen“, sie werden etwa in der Kryptografie verwendet.

Da ist die Molekularbiologie: Christopher Campbell geht an der Uni Wien der Frage nach, wie Tumorzellen trotz ihrer Gendefekte wuchern können. Da ist die Quantenwelt: Nikolai Kiesel dringt an der Uni Wien in sie vor, Tracy Northrop – die einzige Frau in diesem Gebiet – tut es an der Uni Innsbruck. Lauter neue Felder, gar kein altes? Doch, Archäologie hat in Österreich Tradition, Felix Höflmayer setzt sie an der ÖAW fort, er ergräbt die Verwerfungen in der Süd-Levante um das zweite Jahrtausend vor Christus.

WITTGENSTEIN- & START-PREISE

Seit 1996 vergibt die Republik Österreich jedes Jahr sehr hohe Forschungsauszeichnungen: Der Wittgenstein-Preis ist mit 1,5 Millionen Euro dotiert. Er geht an etablierte Forscher, die das Geld im Rahmen ihrer Forschungen frei verwenden können. Das gilt auch für die Start-Preise, sie gehen an sechs bis acht Nachwuchsforscher. Sie bringen 800.000 bis 1,2 Millionen, die über sechs Jahre verbraucht werden. Gemanagt werden beide Preise vom FWF.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.06.2016)

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