Antiker Astro-Computer entziffert

Visitors look at the displayed fragments of the ancient Antikythera Mechanism at the National Archaeological Museum in Athens
Visitors look at the displayed fragments of the ancient Antikythera Mechanism at the National Archaeological Museum in Athens(c) REUTERS (ALKIS KONSTANTINIDIS)
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Das Räderwerk von Antikythera konnte nicht nur für die Astronomie die Himmelsmechanik exakt berechnen, es bot auch der Astrologie Prognosen für ihre Weissagungen.

Im Jahr 1900 fanden Schwammtaucher vor der griechischen Insel Antikythera ein Wrack voller Luxus, Statuen, Münzen, die eine Datierung erlaubten, sie waren 86 v. Chr. geprägt. Daneben fand sich auch Unscheinbares, eine Holzkiste mit einem kreisförmigen bronzenen Gerät, es zerbrach in viele Stücke, manche blieben auf dem Meeresgrund, andere kamen in den Fundus des Archäologischen Museums in Athen. Dort staubte es vor sich hin, bis es 1902 dem Archäologen Valerios Stais vor Augen kam, er sah Zahnräder, er sah Inschriften – Namen von Planeten –, er schloss, dass das mit einer Handkurbel bedienbare Räderwerk ein Himmelsrechner war, zuletzt benutzt im Jahr 80 v. Chr.

Der Rest der Zunft schüttelte die Köpfe: Das Gerät musste viel jünger sein, so etwas konnten die frühen Griechen nie gebaut haben, sie hatten zwar eine hohe Himmelskunde, aber keine sonderlichen technischen Fähigkeiten. Also kam alles wieder in den Fundus. Neu entdeckt wurde es in den 1950er-Jahren von Derek de Solla Price, einem Physiker und Wissenschaftshistoriker der Yale University: Für ihn war das Gerät der erste Computer, ersonnen zur Simulation der Himmelsmechanik: „Nichts wie dieses Instrument ist irgendwo sonst erhalten. Nichts Vergleichbares ist bekannt aus irgendeinem antiken Text.“ Letzteres war falsch, Cicero hat ein solches Gerät erwähnt („sphaera“) und es Posidonius von Rhodos zugeschrieben.

Kalender für den Himmel und die Erde

Aber die Zeit war noch nicht reif, das Gerät kam wieder in den Fundus, systematisch erforscht wird es erst seit 2005, vom Antikythera Mechanism Research Project. Das hat sich zunächst den mechanischen Feinheiten zugewandt und bestätigt, dass das Gerät ein Präzisionswerkzeug der Astrologie war, das Himmelsbewegungen und Sonnen-/Mond-Finsternisse exakt anzeigen konnte, vergangene wie künftige. Zugleich wurde auch ganz Irdisches verzeichnet, periodische Sportereignisse wie jene in Olympia.

Das bemerkte man im zweiten Schwerpunkt des Projekts, dem des Entzifferns dessen, was auf dem Gerät geschrieben steht. Es ist mit Buchstaben übersät, sie sind winzig und von Korrosion so zersetzt, dass die meisten mit bloßem Auge nicht entziffert werden können, es braucht Röntgenverfahren.

Mit ihnen wurden jetzt fast alle 3500 Zeichen geklärt (Almagest VII, Issue 1): „Es wird nicht beschrieben, wie man das Gerät benutzen soll“, berichtete ein Forscher bei der Präsentation in Athen, „es sind Beschreibungen dessen, was man sieht“, ähnlich wie die bei Ausstellungsstücken in Museen. Und was man sieht, ist nicht nur die Himmelsmechanik, sondern auch ihre Bedeutung für das Leben: Sonnen-/Mondfinsternisse werden nicht nur berechnet, auch ihre Charakteristika kommen zur Sprache: Wie wird die Farbe des Himmels sein, wie wird der Wind wehen? Solche Aussagen kann die Astronomie nicht liefern, sie gehören zur Astrologie: „Der Mechanismus von Antikythera simulierte eine griechische Kosmologie, in der Astronomie, Meteorologie und Weissagung eng verwoben waren“, schließen die Forscher.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.06.2016)

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