Von wegen Spatzenhirn!

Dr. Irene Maxine Pepperberg
Dr. Irene Maxine Pepperberg(c) Kurz / laif / picturedesk.com
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Die Intelligenz der Vögel kann sich mit der der Primaten messen. Zwar sind ihre Gehirne kleiner. Aber sie haben auch kleinere- und in Summe mehr Zellen.

Alex wants gym“, krächzte er, wenn ihm nach Bewegung zumute war, und wenn er genug davon hatte, bekam seine Halterin auch etwas zu hören: „Wanna go chair!“ Die Halterin hieß und heißt Irene Pepperberg, und als sie 1977, noch als Chemiestudentin, eine Tierhandlung in Chicago verließ, hatte sie ihn bzw. seinen Käfig in der Hand: Er war ein Graupapagei, sie taufte ihn Alex, er veränderte ihr Leben und ein Stück weit auch den Blick der Biologie: Denn er lernte reden, nicht einfach nachplappern wie andere Papageien, sondern kommunizieren und selbstständig Sätze bilden wie die eingangs zitierten. 500 Wörter verstand er, mit 100 konnte er aktiv umgehen, eines hat er sogar erfunden: Als er zum ersten Mal einen Apfel sah, nannte er ihn „banerry“, es war vermutlich eine Mischung aus „banana“ und „cherry“, mit diesen Früchten war er vertraut.

Pepperberg gab die Chemie auf und wurde Psychologin, in Harvard, sie widmete sich viel ihrem Schützling, den sie aus irgendwelchen Zufällen Alex getauft hatte, es stellte sich als weitsichtig heraus, man kann den Namen auch als Akronym lesen: Avian Language EXperiment. So deutete Pepperberg es später, es war war ein Sakrileg: Zu Beginn ihrer Experimente mit dem Wundertier war das Dogma vom Spatzenhirn noch fest zementiert: Vögel hätten keine höheren Fähigkeiten im Gehirn, und sie könnten sie auch nicht haben, weil sie den Teil des Gehirns nicht haben, in dem bei Primaten wie uns die höheren Fähigkeiten sitzen, den Neokortex.

Das stand seit Ende des 19. Jahrhunderts in den Büchern, damals entwickelte Ludwig Edinger, der Vater der vergleichenden Neuroanatomie, die Theorie der Hirnentwicklung, und ihre Terminologie auch. Er ging davon aus, dass die Gehirne im Lauf der Evolution immer neue Schichten ansetzen, von den Fischen aufwärts bis hin zu den Säugetieren, diese haben als Einzige ganz außen sechs Zelllagen. Die nannte Edinger Neokortex. Vögel haben keinen, ergo: keine Intelligenz!

Das hielt sich, obwohl schon die Mythen es besser wussten – Odin ließ sich jeden Morgen von zwei Raben, Hugin (Gedanke) und Munin (Erinnerung), einen Überblick über die Weltlage verschaffen – und obwohl Alex nicht allein blieb: In vielen Labors zeigten vor allem Rabenvögel erstaunlichste Intelligenz, vom Werkzeuggebrauch über Gedächtnis- und Planungskünste bis hin zum Betrügen von Artgenossen und zum Stiften von Intrigen. Und in der freien Natur bekamen auch Laien etwas zu staunen, Autofahrer in der japanischen Universitätsstadt Sendai: Standen die Verkehrsampeln an Kreuzungen auf Rot, warfen Krähen Walnüsse, die sie selbst nicht knacken konnten, vor die Autos, dann warteten sie auf Grün – und viele Autofahrer spielten bald gern mit.


Begriff an Realität angepasst. Das alles stand der Intelligenz der Primaten nicht nach, und es ging nicht um beschränkte Bereiche wie das Futterhorten, auch nicht um privilegierte Vogelarten – Tauben können sich an 725 verschiedene optische Muster erinnern und menschengemachte Objekte von denen der Natur unterscheiden –, irgendwann musste Edinger revidiert werden. 2005 war es so weit: Das Avian Brain Nomenclature Consortium passte die Begrifflichkeit an die Realität an und ließ den Neokortex fallen (Nature Reviews Neuroscience 6, S. 151). An seine Stelle kam eine äußere Schicht, das Pallium. Was darunter ist, haben alle Tiere, es sorgt mit Instinkten etc. für das nackte Überleben, es wurde im Laufe der Evolution kaum verändert, auch Säuger und Vögel haben es. Aber bei ihnen legte sich ein Pallium darüber, bei beiden, es ist nur anders gebaut: Vögel haben es in Clustern, nicht laminar geschichtet wie Säuger (deshalb kann ihr Hirn auch nicht so walnussartig gefaltet werden).

Aber es leistet eben nicht weniger als das der avanciertesten Säuger, der Primaten. Wie geht das zu, wo kommt es her? Haben Säuger und Vögel es von einem gemeinsamen Ahnen, von dem sie sich vor 300 Millionen Jahren getrennt haben? Oder fanden beide unabhängig voneinander auf gleiche Probleme gleiche Antworten, war es „konvergente Evolution“? Thomas Bugnyar – Kognitionsbiologe der Uni Wien, der viel mit Rabenvögeln experimentiert – hat die Literatur gesichtet: Vermutlich spielt beides mit, manche Regionen sehen nach gemeinsamem Erbe aus, andere nach Konvergenz. Insgesamt jedoch sind die Bauteile und die Verschaltungen so ähnlich, dass Bugnyar „eine „ernüchternde Lektion“ gelernt hat: „Es scheint nur begrenzte Freiheitsgrade beim Generieren von neuralen Strukturen zu geben, die komplexe Kognition unterstützen“ (Trends in Cognitive Science 4, S. 291).

Gröber: Es gibt nur einen Weg zur Intelligenz. Aber wie konnten die Vögel ihn gehen bzw. fliegen? Dass man ihnen Spatzenhirne zuschrieb, lag auch schlicht daran, dass die meisten klein sind, manche sehr: Ein Wintergoldhähnchen (Regulus regulus) hat 4,5 Gramm, davon stellt das Gehirn 0,36, ein Maus bringt es auf 40 Gramm. Aber im Gesamtgehirn hat das zwergenhafte Vögelchen fast doppelt so viele Neuronen (164 Millionen) und im Pallium gar fünfmal so viele (64 Millionen). Das geht, weil sie kleiner und dichter gepackt sind, es ist quer durch das Vogelreich so, eine Gruppe mit Tecumseh Fitch (Kognitionsbiologie, Uni Wien) hat bilanziert (Pnas 13. 6.): Bei vergleichbarer Körpergröße haben Singvögel und Papageien doppelt so viele Neuronen wie Primaten und viermal so viele wie Nager. Und vorn im Pallium, wo die Kognition sich konzentriert, haben besonders Kluge – Rabenvögel und Papageien – besonders viele.

Die leisten auch Besonderes: Alex konnte nicht nur reden, er konnte auch rechnen. Das zeigte er erstmals ganz nebenher, als er bei einem Experiment mit einem Artgenossen dabei war, Griffin. Dem spielte Pepperberg zwei Töne vor, es ging ums Zählen. Griffin reagiert nicht. Pepperberg spielte ihm noch zwei Töne vor. Er reagierte wieder nicht. Aber Alex tat es, er rief: „Four!“. „Du willst addieren? Fein!“, lobte Pepperberg und dachte sich härtere mathematische Nüsse aus. Alex knackte viele, aber welche Schwierigkeitsgrade er meistern konnte, blieb im Dunkeln: „You be good. I love you. See you tomorrow“, verabschiedete er sich eines Abends. Er wachte nicht wieder auf.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.06.2016)

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