Marius Wernig: "Bin über Nacht berühmt geworden"

 Marius Wernig lebt in Kalifornien. Nun forscht er für zwei Monate in der Wiener Dr. Bohrgasse. „Die Presse“ traf Wernig im Gasthaus Gustl kocht, ebenfalls im dritten Bezirk.
Marius Wernig lebt in Kalifornien. Nun forscht er für zwei Monate in der Wiener Dr. Bohrgasse. „Die Presse“ traf Wernig im Gasthaus Gustl kocht, ebenfalls im dritten Bezirk.Stanislav Jenis
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Marius Wernig entdeckte, dass man Hautzellen im Labor in Nervenzellen verwandeln kann. Der Forscher möchte dies nutzen, um Erkrankungen des Nervensystems heilbar zu machen.

Die Presse: Als Professor der Stanford-Universität in den USA können Sie uns vielleicht verraten, wie man aus dem kleinen Österreich eine internationale Forscherkarriere starten kann.

Marius Wernig: Durch familiäre Umstände war ich schon als Kind mobil: Ich bin in Innsbruck geboren, aber mit der Familie nach München und Bonn gezogen. Nach Erreichen des Abiturs wollte ich unbedingt zurück nach Österreich und habe in Wien Medizin studiert.

Sie haben auch Physik studiert.

Richtig, aber nicht lang. Ich dachte, Physik sei die Königin der Disziplinen und dass ich durch die Physik begreifen könnte, wie die Welt funktioniert. Im Studium habe ich schnell erkannt, dass man die Dinge zwar mit mathematischen Formeln erklären kann. Aber ich konnte sie trotzdem nicht begreifen. Die komplizierten Bewegungen eines drehenden Kreisels kann man zum Beispiel wunderbar errechnen, aber ich verstehe sie bis heute nicht.

Warum studierten Sie Medizin?

Ich hätte wohl Biologie inskribiert, wenn mein Vater nicht gesagt hätte, dass Medizin sinnvoller sei: Denn die Grundlagen der Biologie lernt man im Medizinstudium genauso. Aber es ist unmöglich, aus einem Lehrbuch zu erfahren, wie ein Krankenhaus funktioniert, was Patienten brauchen und was die relevanten Probleme in der Medizin sind. Das muss man selbst erleben, das Medizinstudium vermittelt einem das. Ich gebe diesen Rat auch meinen Studenten in Stanford. Denn vielen Biologen, die medizinische Forschung machen, fehlt der Patientenbezug.

Was braucht es aber zur großen Forscherkarriere?

Man muss begeistert von dem sein, was man macht. Jeder Schritt in der Karriere, jede Entscheidung für ein PhD oder PostDoc ist sehr kompetitiv. Wenn man selbst nicht daran glaubt, dass man es schaffen kann, wird das nichts. Man muss Spaß an seiner Arbeit haben und die Forschung zu seinem Hobby machen. Dazu muss man alles andere aufgeben, bis auf das Essenzielle im Leben, zum Beispiel einen Partner zu finden.

Wie war das bei Ihnen?

Ich habe meine Frau früh kennengelernt, im Studentenheim in Wien. Wir haben inzwischen zwei kleine Kinder. Sie sind jetzt hier in der Schule und im Kindergarten, während der zwei Monate, in denen ich am Institut für Molekulare Biotechnologie, IMBA, in Wien ein Sabbatical mache. Das ist ein Forschungsaufenthalt, währenddem ich von all meinen administrativen universitären Pflichten befreit bin. Meine Kinder sind Amerikaner. Ich finde wichtig, dass sie merken, dass nicht nur ihre komischen Eltern diese seltsame Sprache sprechen, sondern dass es auch andere Leute gibt, die Deutsch reden.

Zurück zur Forscherlaufbahn.

Man muss das große Bild im Auge haben und sich genau dort bewerben, wo die Besten der Welt arbeiten. Wir Österreicher sind nicht darauf trainiert, für Großes aufgeschlossen zu sein. Wir sind eher bescheiden erzogen, bei uns ist es einem peinlich, wenn man erfolgreich ist und womöglich auch noch viel verdient. In den USA ist das anders, da lernt man schon mit der Muttermilch, sich gut zu verkaufen. Wenn man sich selbst das Große zutraut, dann vertrauen einem die anderen und geben einem Stellen und Forschungsgelder.

Worauf soll man sich wissenschaftlich fokussieren?

Man darf sich nicht mit Kleinigkeiten verzetteln. Natürlich ist es wichtig, dass die Grundlagenforschung breit aufgestellt ist. Denn wer hätte vor 20 Jahren gedacht, dass Signalwege in Zellen, die an Drosophila-Fliegen entdeckt wurden, heute die Basis wichtiger Krebsmedikamente sind? Doch ich wollte immer schon an den wichtigen Fragestellungen arbeiten, statt mit neuen Technologien zu spielen. Man muss sich zurücklehnen und überlegen: Welches Experiment würde, wenn es klappt, die Welt bewegen?

Welche Experimente waren in Ihrem Fall weltbewegend?

Nachdem ich Medizin studiert habe, aber nicht als praktizierender Arzt arbeiten wollte, habe ich mich auf Neuropathologie spezialisiert. Pathologie hat ja nicht nur mit Leichen zu tun, sondern man untersucht hauptsächlich Biopsien von Gehirntumoren. Das histologische Bestimmen war mir nicht genug, ich wollte Experimente machen und bin nach München gegangen, wo damals forschungsmäßig viel mehr los war als in Wien. Es war der große Genetik-Boom: 1996 wurde das Schaf Dolly kloniert. In München haben wir mit Mäusen gearbeitet, denen man bestimmte Gene ausschaltet, sogenannten Knock-out-Mäuse. Dann habe ich mich bei den besten Neuropathologen im deutschsprachigen Raum beworben und bin nach Bonn gegangen. Dort gab es eine Forschungsgruppe, die aus den USA das neue heiße Thema mitgebracht hatte: embryonale Stammzellen. Bereits das Thema Klonen warf viele ethische Fragen auf, genauso war es mit dem Bereich der Stammzellen, aus denen ein ganzer Organismus entstehen kann.

Sie sind bei der Stammzellenforschung geblieben, haben aber wieder Ort gewechselt.

Ja, eines der Top-Stammzellen-Labore der Welt war und ist das Massachusetts Institute of Technology, MIT, in Boston. Dort war ich bei Rudolf Jaenisch PostDoc, er war auf Zellkern-Transfer spezialisiert. Nachdem Dolly geboren wurde, war das Prinzip bestätigt, dass Klonen klappt. Doch die Effizienz war sehr niedrig. Aus Hunderten Eizellen, denen man einen neuen Zellkern eingesetzt hatte, entstanden nur sehr wenige voll ausgereifte Tiere. Wir haben dort an Mäusen gezeigt, worauf es ankommt, dass ein pseudoschwangeres Weibchen, dem man eine klonierte Eizelle einsetzt, tatsächlich ein lebensfähiges Junges zur Welt bringt.

Was war die große Frage dabei?

Plötzlich war klar, dass jede Zelle, sei es eine Hautzelle oder eine Leberzelle, ein potenzieller Embryo sein kann – also aus jeder Zelle theoretisch ein kompletter Mensch entstehen kann. Wir wollten wissen, welche biochemischen Reaktionen bei dieser wunderlichen Sache passieren. Wir wussten, es muss Faktoren geben, die in einer Eizelle vorhanden sind, die eine Hautzelle so umprogrammieren, dass sie wieder embryonal wird.

Konnten Sie aus den Hunderten Faktoren, die dabei mitspielen, herausfiltern, worauf es ankommt?

Ein anderer Forscher war schneller: der japanische Stammzellenforscher Shin'ya Yamanaka. Er hat genau vier Faktoren gefunden, die es braucht, um aus einer Hautzelle eine Stammzelle zu machen, die das Potenzial hat, sich zu allen anderen Zelltypen zu entwickeln.

Diese Entwicklung der iPS-Zellen, der induzierten pluripotenten Stammzellen, wurde 2012 mit dem Medizinnobelpreis ausgezeichnet.

Auch uns war klar, dass es ein Riesenerfolg ist, wenn man die richtigen Faktoren findet. Wir hatten die richtige Kombination einfach noch nicht ausprobiert. Als Yamanaka diese vier Faktoren 2006 publizierte, konnten wir in nur zwei Monaten nachweisen, dass es auf diese Art wirklich klappte. Das brachte viele zum Verstummen, die diese unglaubliche Sache angezweifelt hatten. Wie groß die Auswirkungen auf Wissenschaft und Gesellschaft sein würden und dass dafür der Nobelpreis vergeben wird, das haben wir uns in den kühnsten Träumen nicht vorstellen können.

Was machte Ihre Arbeitsgruppe nach dieser Entwicklung?

Wir verbesserten das System immer weiter: Uns ist erstmals gelungen, aus Hautzellen echte pluripotente Stammzellen zu machen, das heißt, dass man aus iPS-Zellen direkt lebendige Mäuse herstellen kann, die auch vermehrungsfähig sind. Das war eine große Sache und richtig verblüffend.

Aber das war immer noch nicht die Entdeckung, die Sie berühmt gemacht hat.

Nein, ich bin dann an die Stanford University in Kalifornien gegangen. Dort haben wir eine Abkürzung dafür gesucht, aus einer Hautzelle zum Beispiel eine Nervenzelle zu machen. Denn beim Reprogrammieren einer Hautzelle zu einer pluripotenten Stammzelle dreht man ja die Zeit zurück: Man macht viele Schritte der Entwicklung rückgängig. Nach nur einem Jahr in Stanford konnte ich zeigen, dass der Umweg nicht notwendig ist. Wenn ich die Faktoren kenne, die eine Nervenzelle zu einer Nervenzelle machen, kann ich mit diesen Faktoren eine Hautzelle im Laborschälchen in nur drei Wochen zu einer Nervenzelle umprogrammieren.

Sieht das im Mikroskop aus wie eine Verwandlung von Mensch zu Spiderman?

Ja, fast: Eine langweilig aussehende Hautzelle bekommt im Verlauf weniger Tage die hochkomplizierten Verästelungen einer Nervenzelle. Diese Entdeckung war für die Wissenschaftswelt komplett unerwartet. Das machte mich über Nacht berühmt. Wir haben es in der Maus gezeigt, inzwischen klappt es auch mit menschlichen Zellen. In letzter Zeit haben wir uns auf solcherart Hirnzellen fokussiert, die Myelin produzieren, das ist die Isolierschicht der Nervenbahnen.

Wollen Sie multiple Sklerose und ähnliche Erkrankungen heilbar machen?

Multiple Sklerose ist die bekannteste Myelin-Erkrankung, doch sie ist eine Autoimmunerkrankung. Würde man einem Patienten die neu programmierten Myelin-produzierenden Zellen transplantieren, würde das Immunsystem diese wohl auch angreifen. Wir forschen an genetischen Myelin-Erkrankungen. Man könnte dem Patienten eigene Haut- oder Blutzellen entnehmen, den genetischen Defekt reparieren und die Zellen in Hirnzellen umprogrammieren. Diese gesunden Zellen könnte man dann injizieren. Das ist das langfristige Ziel.

Und wie lebt es sich als Österreicher in Kalifornien?

Bis ich nach Stanford gegangen bin, dachte ich, es gibt keinen schöneren Platz auf der Welt als Österreich, mit diesen wunderschönen Bergen und Seen. Aber dort, wo wir jetzt leben, kommt es doch sehr nahe dran. Und wir haben noch das Meer und die beeindruckende kalifornische Küste dazu und außerdem die ansteckende Aufbruchstimmung des Silicon Valley. Es ist aber auch fantastisch, jetzt zurück in Wien zu sein. Das IMBA ist unter der Führung von Josef Penninger und Jürgen Knoblich zu einem Weltklasse-Institut geworden. Zusammen mit den anliegenden Forschungseinrichtungen ist das Vienna Biocenter ein sehr attraktiver Standort.

LEXIKON

Marius Wernig wurde 1974 in Innsbruck geboren, wuchs in Deutschland auf. Nach dem Medizinstudium in Wien begann er eine internationale Karriere als Stammzellenforscher. Er hat eine Methode, für die 2012 der Medizinnobelpreis vergeben wurde, weiterentwickelt, sodass man im Labor aus Hautzellen andere Zelltypen erschaffen kann. Nach Stationen in Bonn, München und Boston, USA, konzentriert sich Wernig an der Stanford-Universität in Kalifornien auf Oligodendrozyten, also Hirnzellen, die die Isolierschicht der Nerven, Myelin, produzieren.

Embryonale Stammzellen (ES) sind pluripotent, aus ihnen kann jeder Zelltyp entstehen, auch Ei- und Samenzellen (aber nicht die Plazenta). ES werden aus Zellen gezüchtet, die im Embryo vorkommen, wenn er wenige Tage alt ist.

Induzierte pluripotente Stammzellen (iPS) sind Zellen, die man z. B. aus der Haut eines Erwachsenen entnimmt und dann verjüngt bzw. reprogrammiert in denselben Status einer pluripotenten ES. Wernig hat auch gezeigt, dass iPS und ES das idente Entwicklungspotenzial haben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.07.2016)

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