Als der Kaiser durch die Blume sprach

Ähnlich wie die Champs-Élysées in Paris zieht sich auch durch Wien eine lange Sichtachse. Joseph II. soll von seiner Villa im Augarten über Praterstern und Hauptallee bis zum Lusthaus gesehen haben. Darstellung von Carl Graf Vasquez-Pinas von Löwenthal.
Ähnlich wie die Champs-Élysées in Paris zieht sich auch durch Wien eine lange Sichtachse. Joseph II. soll von seiner Villa im Augarten über Praterstern und Hauptallee bis zum Lusthaus gesehen haben. Darstellung von Carl Graf Vasquez-Pinas von Löwenthal.ÖAW/Sammlung Woldan
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Gärten drücken Botschaften der Herrscher aus. Das zeigte sich auch im Wien des 18. Jahrhunderts.

Joseph II. soll einmal beim Spaziergang durch den Augarten seinen Hut gelüftet haben. Er verneigte sich so vor dem Volk, für das er den Park 1775 geöffnet hatte. An dessen Portal ließ er außerdem die Inschrift „Allen Menschen gewidmeter Erlustigungs-Ort von Ihrem Schaetzer“ anbringen. Damit setzte der Kaiser des Heiligen Römischen Reichs und ab 1780 auch König von Böhmen und Ungarn ein einzigartiges Zeichen der Zuneigung für sein Volk, ein Symbol für die Öffnung, die er auch mit seiner Politik verfolgte.

„Wie eine Oper oder Architektur und überhaupt jede Form der bildenden und der darstellenden Kunst ist auch die Gartenkunst Ausdruck dessen, wie eine Gesellschaft strukturiert war“, sagt Eva Berger vom Institut für Städtebau, Landschaftsarchitektur und Entwerfen der TU Wien. Die für Gartenkunst habilitierte Wissenschaftlerin befasst sich seit 1984 mit Parks und Gärten und veröffentlichte auch die erste österreichische Bestandsaufnahme historischer Gärten mit mehr als 1750 Gartenanlagen. Im Herbst erscheint bei Böhlau ihr neues Buch über 600 Jahre Wiener Gartenkunst.

Das Ende der strengen Ordnung

Für sie zeigt sich mit dem langsamen Wechsel vom Absolutismus zur Aufklärung besonders deutlich, wie das Gedankengut einer Zeit auch die Gärten verändert: Der Barock galt als Blütezeit der Gartenkunst, Maria Theresia pflegte in Schönbrunn noch einen klassischen französischen Garten mit den klassischen barocken Gestaltungsmerkmalen. Es gab eine klare Ordnung, die Geometrie dominierte den Gesamteindruck. Wie in den absolutistisch geprägten Monarchien Europas schien alles von einem Zentrum auszugehen. Alles war streng strukturiert, gerade Linien und rechte Winkel gaben den Rahmen für die Gestaltung vor.

„Der Garten war nicht nur Refugium, sondern transportierte zugleich Botschaften, Weltanschauungen und politische Vorstellungen“, sagt Richard Kurdiovsky vom Institut für kunst- und musikhistorische Forschungen der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Der Kunsthistoriker sprach kürzlich in einem Workshop über „Habsburgs öffentliche Freiräume und ihre Architektur im Wien des 18. Jahrhunderts“. Maria Theresia etwa nutzte Figurengruppen der antiken Mythologie, um Werte wie Tugendhaftigkeit und Pflichtbewusstsein zu vermitteln. Allerdings zunächst nur an die Elite von Hof und Adel, dem gemeinen Volk blieben die großen Parkanlagen Wiens zunächst verwehrt – zumindest offiziell.

Nun darf auch das Volk hinein

Am 9. April 1766 ließ Joseph II. im „Wienerischen Diarium“, den „Nachrichten von Staats, vermischten und gelehrten Neuigkeiten“, die Öffnung des Praters vermelden. „Für Künstler, Reisende, Wissenschaftler und botanisch Interessierte gab es aber schon immer Zutritt in die Anlagen“, sagt Berger. Frühere Ansichten zeigten bereits auch einfache Leute, etwa eine Mutter mit zwei Kindern. Für deren Verhalten galten freilich strenge Auflagen, der Pöbel sollte draußen bleiben. „Im Geist der beginnenden Aufklärung will Joseph II. das Volk stärker mit einbeziehen“, so Kurdiovsky. Neun Jahre später öffnet er auch den Augarten. Maria Theresia, mit der er fünfzehn Jahre lang gemeinsam regierte, zieht schließlich mit und macht 1778 die Parkanlage ihrer Sommerresidenz Schönbrunn zugänglich.

In der Gestaltung unterscheiden sich die Parks und Gärten Josephs II. deutlich von jenen seiner Mutter: „Er verzichtet auf Symbole der habsburgischen Herrschaft. Die frei wachsende Natur diente der Vorstellung einer freien, natürlichen Moral“, erklärt Kurdiovsky. Auch für Kunsthistorikerin Eva Berger sind die neuen Gestaltungsformen Ausdruck des Zeitgeists und eines sich wandelnden Menschenbilds: „Der Mensch wird von der Religion und vom Herrschaftsglauben entfremdet und eignet sich die Natur in ganz anderer Weise an als im Barock üblich.“

Der Prater bleibt bis auf die strenge Achse der Hauptallee naturbelassen: Diese ist als Raum zum Promenieren willkommen. Ähnlich wie die Champs-Élysées in Paris bildet sie eine Achse vom Sommersitz des Kaisers über den Praterstern bis hin zum Lusthaus. In einer Ecke des an sich noch als barocken Jagdgarten angelegten Augartens lässt er einen kleinen Landschaftsgarten pflanzen. In Laxenburg errichtet er ab den frühen 1780er-Jahren einen großen Landschaftsgarten. Nur der Adel war noch schneller: Feldmarschall Moritz Graf Lacy gestaltete bereits ab 1765 bei Neuwaldegg einen der ersten englischen Landschaftsgärten auf dem Kontinent.

Die Gärten, in denen nun auch das Volk einen Ausgleich zur Arbeit finden sollte, boomten jedenfalls rasch: Im Prater entstanden zur Verköstigung hölzerne Buden und teilweise aus Stein gebaute Kaffeehäuser. Die Öffnung der Gärten wurde aber freilich nicht von allen gut aufgenommen. Die Adeligen sollen Joseph II. mit Beschwerden bestürmt haben, sie verwiesen auf das Privileg des Kaisers und seiner Klientel, diese zu nutzen. Ob die Geschichte stimmt, ist unklar, überliefert ist jedenfalls folgende Antwort: „Wenn ich immer unter meinesgleichen sein wollte, müsste ich in der Kapuzinergruft leben.“

LEXIKON

Gartenkunst ist die künstlerische und landschaftsarchitektonische Planung privater und öffentlicher Flächen. Gestaltungsmittel sind nicht nur Pflanzen und Wege, sondern u. a. auch Wasserspiele, Skulpturen oder bauliche Elemente wie Pavillons oder Teehäuser. Einen Höhepunkt erreichte die Kunstform im streng geometrisch geplanten französischen Barockgarten, ab dem frühen 18. Jahrhundert entwickelte sich der englische Landschaftsgarten. Wie jede Kunstform gilt auch die Gartenkunst als Ausdruck der gesellschaftlichen Verhältnisse einer Zeit.

(Print-Ausgabe, 16.07.2016)

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