Kein Kindchenschema beim Lipizzaner

Lipizzaner
LipizzanerClemens Fabry
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Digitale Bildverfahren eröffnen neue Möglichkeiten in der Analyse von erwünschten oder unerwünschten Erscheinungsmerkmalen der Tiere. An der Vet-Med-Uni Wien prüft man damit die Konsistenz von Richterbewertungen.

Nicht nur Autos haben ein Exterieur, sondern auch Nutztiere. Bei der Zucht von Schweinen etwa geht es vorrangig um ihre Fleischleistung, also darum, sie möglichst effizient zu mästen. Der Lipizzaner hingegen fällt in eine andere Kategorie: Bei ihm zählen zwar auch funktionale Zuchtmerkmale – etwa die Rittigkeit, die aussagt, wie eifrig ein Pferd bei der Arbeit mit dem Reiter ist. Bei diesen Pferden geht es aber besonders um ästhetische Merkmale.

„Um solche Zuchtziele zu erfassen, kann man heute neue Methoden nutzen“, sagt Thomas Druml vom Institut für Tierzucht und Genetik der Vet-Med-Uni Wien. Denn die Ideale ändern sich im Lauf der Zeit. Im Barock etwa wurden Zuchthengste deshalb auf Ölbildern festgehalten. Digitale Bilddaten eröffnen aber ganz neue Möglichkeiten: Mit einer Software lassen sich anhand der Form (oder Silhouette) der Tiere erwünschte oder unerwünschte Zuchtmerkmale quantifizieren.

Für die aktuelle Studie ließen Druml und sein Team 102 Lipizzanerhengste der Spanischen Reitschule fotografieren und durch Zuchtrichter beurteilen. „Ähnlich wie beim Turniertanz beansprucht dieses Beurteilen viel Erfahrung, Zeit und ist subjektiv – historisch gesehen genauso wie heute.“ Doch hat es höchste Relevanz: Die Exterieurbeurteilung der Zuchtrichter bestimmt in unseren Breiten den Marktwert des Pferdes, so Druml. Das Projekt wird vom Technologieministerium über die Forschungsgesellschaft FFG gefördert; die Projektleitung liegt bei Gottfried Brem, Leiter der Abteilung für Reproduktionsbiologie.

Exterieurmerkmale messen

„In unserer Studie setzen wir uns damit auseinander, wie der Mensch das Pferd wahrnimmt. Die genaue Messbarkeit von Exterieurmerkmalen war in der Pferdezucht immer schon ein Problem.“ Druml hat dafür nun Bildanalysemethoden aus Anthropologie und Zoologie adaptiert. „So lassen sich Unterschiede zwischen Richterurteilen visualisieren. Und natürlich versuchen wir, objektive Daten als Informationsgrundlage zu generieren.“

Die Ausbildung der Richter, die Schulung ihrer Wahrnehmung auf die charakteristischen Merkmale der Pferde, ist auf EU-Ebene geregelt und erfolgt in den Zuchtverbänden. Druml: „Alte Herren mit langjähriger Erfahrung bringen das den Jungen bei – auch in der Theorie, aber in erster Linie in der Praxis, im Tun.“

(c) Presse

Ausschlaggebend sei dabei die Anzahl der Pferde, die ein Richteranwärter vors Auge bekommt: „Man muss im Jahr circa 100 Tiere beurteilen, um sich zu professionalisieren und auf eine Konsistenz des Urteils zu kommen.“

Bei Lipizzanern ist das schwierig, denn: „Es gibt in der privaten Lipizzanerzucht in Österreich nur wenige Fohlen pro Jahr. Mit unserem Ansatz aber können wir die Konsistenz der Urteile gut prüfen.“ Es geht also darum, ob die verschiedenen Richter bei den Pferden das gleiche Maß anlegen bzw. dasselbe Ideal vor Augen haben: Bei einer konsistenten Bewertung durch mehrere Beurteiler bilden – in der Auswertung der Bilddaten – die am schlechtesten bewerteten Pferde eine Gruppe, die mittel bewerteten setzen sich deutlich davon ab, und die am besten bewerteten sind auch wieder gruppiert.

Aus den gesammelten Daten lässt sich auch ein – nur virtuell existierendes – Modelltier errechnen (Bild rechts): der optimale Lipizzanerhengst, wie die Richter ihn gern sähen. „Mit geramstem (nach oben gewölbtem, Anm.) langen Kopf und kurzer Stirn“, erläutert Druml. „Ein langer Gesichtsteil wird präferiert – während die moderne Pferdezucht sonst zum Kindchenschema tendiert.“ Weiters soll der Lipizzanerhengst eine hohe Aufrichtung zeigen, im Format quadratisch (Höhe des Pferdekörpers im Vergleich zu seiner Länge) und insgesamt sehr muskulös sein. Ein Ergebnis der Analyse ist, dass die Richter die Typmerkmale der Lipizzaner so unterschiedlich bewerten wie Studienteilnehmer anderer Experimente die Attraktivität von Menschen. „Bei den anatomischen Merkmalen war die Übereinstimmung teilweise geringer, das soll jedoch noch genauer untersucht werden.“ Auch eine Bewegungsanalyse ist geplant; das Projekt läuft bis Ende 2017.

Epochen existieren parallel

„Wir haben mit unserem Ansatz, neue Methoden in dieser alten Kulturtechnik einzusetzen, in der Fachwelt durchaus provoziert“, sagt Druml. „Die alteingesessenen Zuchtverbände sehen das natürlich skeptisch. Das braucht Zeit.“

Die Lipizzaner wurden Anfang des Jahres auch zum Unesco-Weltkulturerbe erklärt, was Druml begrüßt: „Die Lipizzanerzucht ist traditionell orientiert. Bei der Reiterei hat sich seit dem 17., 18. Jahrhundert nur wenig verändert; Lipizzaner waren immer Hofgestütspferde. Die alten Epochen sind dank der Spanischen Reitschule auch im Jetzt präsent; sie existieren parallel.“ Auch seine Forschung weise solche Querbezüge auf: „Unser Ansatz kommt ohne den alten nicht aus.“

IN ZAHLEN

102 standardisierte Fotos von Lipizzanerhengsten und deren Bewertung durch Zuchtrichter wurden im Rahmen eines Projekts erfasst. Die Form der Pferde wurde mit 246 Koordinaten beschrieben. Die Unterschiede im Exterieur wurden in numerische Variablen umgewandelt und statistisch analysiert.

12 Merkmale, die für das Lipizzanerzuchtprogramm erhoben werden sind: Typ (Gesamterscheinung), Rassetyp, Geschlechtstyp, Harmonie, Kopf, Hals, Widerrist, Schulter, Brust, Rücken, Kruppe (Becken), Beine.

(Print-Ausgabe, 23.07.2016)

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